Zugegeben: Als ich in dem weißen Geländewagen eingequetscht zwischen elf weiteren Ehrenamtlichen aus Großbritannien, Australien und Schottland sitze, frage ich mich, warum ich mir das antue. Rund vier Stunden holpert der Wagen von Tanga aus gen Westen in die Usambaraberge, über eine rote Lehmstraße, die immer enger wird, bis sie schließlich nicht mehr als ein ausgewaschener, vertrockneter Flusslauf mit all seinen Windungen und Unebenheiten ist. Dann kommen wir am Stellplatz für den Geländewagen an. Rund 50 Kinder stehen dort und singen uns ein Willkommensliedchen in einer Mischung aus Englisch und Kisuahili, den beiden offiziellen Landessprachen Tansanias. Danach beginnt der Aufstieg ins Bergdorf Yamba. Personal Overseas Development, die britische Agentur, die den Aufenthalt für mich organisiert hat, schreibt in ihrer Informationsbroschüre zu diesem Einsatz, dass der Weg ins Dorf steil und anstrengend ist. Dass er so steil und so anstrengend ist, dass ich dreimal eine Pause einlegen muss, um wieder zu Luft zu kommen, hatte ich nicht gedacht.
Schlafen unterm Moskitonetz
Der Weg ist kaum breit genug für eine Person, das Gras reicht manchmal bis in Brusthöhe, und es geht immer bergauf, über Stock und Stein. Nach dem Bergkamm sieht man die ersten Lehmhütten. Davor spielen Kinder, sitzen Frauen und frisieren sich gegenseitig oder stampfen Mais zu Mehl. Alle diese Hütten gehören schon zu Yamba, auch wenn der Weg für die Bewohner in die Kirche oder in die Schule von hier aus noch gut 20 bis 30 Minuten zu Fuß ist. Sehr viel mehr als diese beiden Einrichtungen gibt es in Yamba nicht: keine Polizei, kein Laden, keine Bank, keine Post. Village Africa, die britische Nichtregierungsorganisation, die hier aktiv ist, und für die ich vier Wochen lang ehrenamtlich arbeite, hat aber eine Krankenstation direkt neben dem Büro eingerichtet, in der zwei ausgebildete Schwestern sich um Kranke kümmern. Außerdem gibt es für die Kinder eine dunkle Bibliothek mit etwa 50 Büchern.
Nach rund einer Stunde habe ich mein Ziel erreicht: Mein Zimmer für die nächsten Wochen ist etwa fünf Quadratmeter groß, aus Lehmziegelsteinen, weiß verputzt und mit einem Blechdach. Das Fensterchen ist durch zwei dicke Holzbretter verschlossen, statt Glas gibt es ein Fliegengitter. Vor dem Fenster steht mein Schreibtisch, über dem Bett hängt das Moskitonetz, die Enden sorgfältig unter die Matratze gestopft, da Malaria in dieser Region nicht selten ist. Knapp zwei Meter von meiner Zimmertür entfernt und durch einen schmalen Lehmpfad getrennt, steht die Küche, die zu meiner Behausung gehört. Traditionell formen hier drei Hütten eine Behausung: In einer schlafen und wohnen die Menschen, eine ist als Toilette gedacht und in der dritten, der Küche, wird gekocht. Meine Küche wird jedoch nur vom Hausmädchen genutzt, um das Wasser aus dem Fluss auf dem Feuer zu erhitzen, damit ich einmal am Tag warm duschen kann. Dazu gehe ich in die dritte Hütte: zwei dunkle, enge Räume, beide haben eine Tür nach draußen. Der eine Raum hat ein Loch im Boden, das Plumpsklo. In der Ecke steht ein großer roter Plastikeimer mit Flusswasser. Mit einer gelben Plastiktasse nimmt man Wasser heraus und spült nach. Außerdem ist das Wasser zum Händewaschen gedacht. Im Raum daneben stehen zwei Eimer: Der grüne ist voll mit kaltem Wasser, der mit dem rosa Deckel wird mit dem heißen gefüllt. Mit einer roten Tasse mischt man heiß und kalt und gießt sich das Ergebnis dann solange über den Körper, bis das Wasser alle ist, oder man sich frisch geduscht fühlt.
Linsen oder Bohnen
Zum Essen steige ich etwa zehn Minuten den Berg hinauf in den Aufenthaltsraum der Ehrenamtlichen. Zum Frühstück gibt es frisches Brot, das die Hausmädchen backen, für jeden ein Ei, ein Stück Obst, Tee oder Kaffee, Marmelade. Mittags und abends bekommen wir je eine warme Mahlzeit: Kartoffeln, Reis oder Nudeln mit Bohnen oder Linsen, einmal die Woche einen Gurken-Tomaten-Salat. Nachtisch: Wassermelone, Mango, Avocado, Ananas oder einmal frische Maracuja. Nach dem Abendessen ist es bereits stockdunkel. Denn die Sonne geht jeden Tag gegen 6.20 Uhr auf und um 18.20 Uhr unter, da der Äquator nicht fern ist. So schön der Weg den Berg hinauf bei Tageslicht ist, so unheimlich kann er nachts im Licht der Taschenlampe sein, wenn man neben den Grillen noch andere knackende Geräusche aus dem brusthohen Busch links und rechts des Trampelpfades hört, oder man darin gelb-glühende Augen sieht.
Als Voluntouristin im Einsatz
Die zwei ersten Wochen arbeite ich vormittags mit der Baugruppe. Weil wir so viele Ehrenamtliche sind, heben wir ein neues Fundament aus – ohne Maschinen. Das heißt, wir roden zunächst den Urwald: Bananenstauden und mannshohes Gras muss genauso weg wie der dichte Busch in Knöchelhöhe. Dann wird die Erde mit Hacken gelockert. Nächster Schritt: Zwei Spaten voll Erde passen je in eine flache, zerbeulte Blechschüssel, die dann weggetragen und ausgeschüttet wird, bevor man sie neu befüllt. Wir bilden eine Kette, um schneller voranzukommen. Kleine Steine sammeln wir auf einem Haufen, sie werden später für den Hausbau noch gebraucht. Die großen Steine und Felsschichten in der Erde schlagen die tansanischen Kollegen mit großen Hämmern klein. Später mischen wir auf einer anderen Baustelle Zement, dort muss die Küche fertig gemauert werden. Auf Facebook gibt es ein öffentliches Fotoalbum zu unserem Einsatz als Bauarbeiter.
Nachmittags und die zwei restlichen Wochen bin ich mit der Kamera und dem Fotoapparat unterwegs. Ich interviewe Hausmädchen, Bauarbeiter, ehrenamtliche Lehrer, recherchiere zum Thema Geld- und Kleiderspenden, mache Fotos und Videoaufnahmen. Ich besuche auch Schulen, in denen Kinder auf dem Boden sitzen, weil es noch nicht ausreichend Schulbänke und -tische gibt. Ich sehe Schlafzimmer, halb so groß wie meines, in denen nichts außer einer Schaumstoffmatratze liegt. Darauf schlafen die Eltern mit ihren Kindern. Einige tragen vier Wochen lang die gleiche Kleidung. Mal ist sie sauberer, dann wurde sie im Fluss gewaschen, doch viele Shirts haben Löcher und Risse. Die meisten T-shirts und Hosen kommen aus Europa als Kleiderspenden nach Yamba. Und sie werden dringend gebraucht: Es gibt weder Schneider noch Läden, wo die Dorfbewohner Kleidung kaufen könnten, der nächste Markt ist knapp zwei Fußstunden entfernt. Dort kaufen jedoch die Frauen ihre traditionelle Kleidung, den Kanga, ein langes Stofftuch, das sie um die Hüfte binden. Die Knie dürfen in Tansania nicht gezeigt werden, das gehört sich nicht.
Tschööö Yamba!
Nach vier Wochen habe ich mich an die Usambaraberge und das ewige Auf und Ab gewöhnt, obwohl es noch immer anstrengt. Die Dorfbewohner kennen meinen Namen: „Hello Bettina!“, schallt es aus Hütten, von Höfen und aus Bäumen, wenn ich vorbeigehe. Und „Hello, how are you?“, rufe ich zurück. Am Morgen meiner Abreise setze ich ein leises „Kwaheri“ dazu, ich verabschiede mich von denen, die mich grüßen. Das fällt mir besonders schwer bei einigen, die mir in diesen vier Wochen gute Freunde wurden. Sie werde ich vermissen. Genauso wie das Zirpen der Grillen, das Krähen der Hähne am frühen Morgen, die Freundlichkeit der Menschen und ihre Hilfsbereitschaft, den gigantischen Sternenhimmel und das glückliche Lachen der spielenden Kinder ganz oben auf dem Berg, vor dem Aufenthaltsraum, in dem bald neue Ehrenamtliche sitzen werden.
Bei einem Aufenthalt in Tanga hatte ich interessante Begegnungen
Über meinen Aufenthalt in Tansania könnt Ihr hier weiterlesen.
Mein persönliches Fazit zum ehrenamtlichen Einsatz findet Ihr auf Wirtschaft verstehen.
Aktiv für den Frieden: Friedensdienst für junge Menschen
Der Artikel erschien zuerst und auf Englisch auf der Seite von Allianz Wissen. Die Seite gibt es nicht mehr.
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