Wenn man vom Aufenthaltsraum der Ehrenamtlichen in Yamba, Tansania, einige Meter den Berg hinuntergeht, biegt links ein schmaler Weg zwischen brusthohem Gras und Gebüsch ab. Folgt man ihm, kommt nach der Kurve ein Haus, es geht weiter den Berg hinab, durch Mais- und Bohnenfelder um ein Tal herum. Nach etwa zehn Minuten steigt der Pfad auf der anderen Seite des Tales steil an und führt zur evangelischen Kirche. Sie ist viel kleiner als die katholische, und der rotbraune Lehmputz ist fast überall im Innenraum abgefallen, so dass man die rissige Lehmwand und das Holzgerüst dahinter sehen kann. Das Blechdach lässt an vielen kleinen Stellen Tageslicht herein, einige Löcher sind jedoch so groß, dass ein Kind durchpassen würde. Im Dachgebälk haben Wespen ihre Nester.
Der Kirchenchor singt
Rechts vorne liegen Lehmziegelsteine für die neue Kirche. Deren Grundriss ist schon in Beton gegossen. Doch die künftigen Innenräume sind hüfthoch mit Busch und Gras bewachsen, weil das Geld zum Bau fehlt. Bis genügend Geld da ist, werden die bereits gekauften Steine in der alten Kirche aufbewahrt. In den sechs rechten Bänken in der Kirche sitzen drei Männer und zwei Kinder, die linken Bänke sind mit Frauen und noch mehr Kindern dicht besetzt. Der Kirchenchor sitzt vorne, seine Besetzung variiert: Einige Mitglieder gehen früher, andere kommen später, die Frau in der ersten Reihe singt fleißig mit, während sie ihrem Kind die Brust gibt. In der zweiten Reihe steht die auffallend gut gekleidete Vorsingerin: langer blauer Rock, Schal in der gleichen Farbe, geblümte Bluse. Ihre Haare stehen am Hinterkopf wie ein aerodynamischer Flugzeugflügel ab. Ein Lied kenne ich aus der deutschen Kirche, mir fällt der Text nicht ein, aber eine Zeile lautet „lasset den Lobgesang hören!“. Auch das Vater unser meine ich zu erkennen.
Rechts schaut von draußen ein Mann durchs offene Fenster herein. Sein rechtes Auge schaut nach links oben. Als wir an der Kirche ankamen, lief er laut schreiend weg. Jetzt fixiert er uns, kurz, später sitzt er rechts hinter uns in der Kirche. Als ich mich zu ihm umdrehe, rennt er schnell aus der Kirche. Von der Predigt verstehe ich heute mehr: bwana mungu – Herr Gott, baba – Vater, haraka sana – sehr schnell. Außerdem werden viele Zahlen genannt: 13, 14, 15 und 2000 tansanische Schilling verstehe ich.
Versteigerung und Kleiderspende in der evangelischen Kirche
Zusätzlich wird eine endlose Liste derer vorgelesen, die sich nach der Kirche eine Kleiderspende abholen dürfen. Vor der Kirche habe ich ein kleines Mädchen gesehen, das eine hellbraune Strickjacke mit Reißverschluss trägt, auf der in rot und blau “Boy” steht. Die Jacke habe ich gestern für eine andere Kleiderspende verpackt, und aus Deutschland mitgebracht. Freunde hatten mir einen Koffer voll Kinderkleidung mitgegeben. Vor der Kirche habe ich auch Francis getroffen, den Jugendlichen, den Jörg und ich im Rahmen des Simba Club fördern. Er erzählte in sehr gutem Englisch, dass er zwei Schwestern, aber keinen Bruder hat, dass er unter der Woche in Milingano und am Wochenende Zuhause ist, dass er etwa zwei bis drei Stunden von Yamba nach Milingano läuft, und dass er sich für das Innere im Körper interessiert – ich vermute, er möchte Arzt werden.
Singt ein Lied!
Während des Gottesdienstes wird es plötzlich unruhig, und alle schauen uns an. Da schießt ein junges Mädchen aus einer Ecke hervor und sagt “Introduce you!”. Das mussten wir zwar auch in der katholischen Kirche machen, aber da waren wir darauf vorbereitet, diesmal nicht. In meinem besten Kisuahili sage ich also, dass ich Bettina heiße und aus Deutschland komme. Dass ich vier Wochen in Yamba bin, und dass ich nächsten Freitag abreise, füge ich auf Englisch hinzu. Das junge Mädchen übersetzt nur den ersten Teil meines Satzes. Der Gottesdienst geht weiter, und plötzlich steht das junge Mädchen wieder vor uns: “You must sing a song!”. Mir fällt partout kein Liedanfang ein, außer dem der Nationalhymne, des Badnerliedes oder Alle meine Entchen. Rosie und Karen retten mich, indem sie nach Vorne gehen und ein Lied auf Kisuahili singen, das sie vergangene Woche gelernt haben.
Als die Kirche vorbei ist, gehen alle Besucher reihenweise nach draußen. Dort steht rechts neben der Tür der Pfarrer, und dann alle anderen Kirchenbesucher aufgereiht. Wer die Kirche verlässt, gibt jedem die Hand, und stellt sich hinten an. Als sich der Kreis um den Haupteingang schließt, werden Obst und Gemüse versteigert, dann ist auch der besuch der evangelischen Kirche in Yamba zu Ende.
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