Der Indian Summer liegt hinter uns. Auf unserem Weg durch Connecticut und den Staat New York bis nach Rhode Island und weiter bis Cape Cod haben sich die Bäume ein letztes Mal verändert. Zunächst hat der Herbst im Umland des kleinen Örtchens Kent noch sein Bestes gegeben, um in knalligem Rot und Orange selbst die Büsche und Rankpflanzen an den Strommasten und Straßenlaternen leuchten zu lassen, doch dann ließ er nach. Wir durchfuhren ein Gebiet, in dem die Blätter schon braun oder abgefallen waren, und sind jetzt in einer Region, in der der Indian Summer keine Rolle spielt.
In Rhode Island ist Wasser, überall. Teiche, Seen, Bäche und Flüsse und natürlich der Atlantik. Und weil die Küste so zerfurcht ist, fährt man über sehr viele Brücken. Newport ist ein Urlaubsort mit vielen Touristen am Strand und auf dem Klippenweg. Der zieht sich rund 4 Kilometer an der Küste entlang – ist aber leider nach etwa der Hälfte gesperrt, weil er renoviert wird. Trotzdem schön: Unten brechen die Wellen gegen die Felsblöcke, die Möwen fliegen über unsere Köpfe, rechts von uns übermannshohe Hecken, die nur ab und zu den Blick freigeben auf Stadtpaläste, in denen sehr reiche Menschen wohnten und wohnen.
Auf nach Provincetown in Cape Cod
Heute sind einige dieser so genannten Mansions Museen. Hier könnte man es gut aushalten, ist mein Eindruck, in einem Turmzimmer mit Rundumblick über die Bucht und das Land. Aber uns zieht es weiter zu unserer letzten Station: Wir fahren nach Provincetown auf Cap Cod. Auf unserem Weg kamen wir heute an einer Zugbrücke vorbei, die nach oben gefahren werden kann, wenn ein Schiff sie passieren will. Wir hatten Glück: Sie war gerade oben, als wir ankamen, und fuhr einige Minuten später nach unten. Dann kam der Zug, und als er schon außer Sichtweite war, gab er plötzlich sein röhrendes, lautes, langes Tröten von sich. Das kam so überraschend, dass ich zusammenzuckte und etwas in die Luft sprang.
Hinter mir lachte darüber eine junge Frau, ich auch. Ich sah sie an, sagte: „Das kam sehr unerwartet“. Sie antwortete:“Das hat man gesehen!“ Ich:“In Deutschland hupen Züge nicht so, aber ich mag dieses Geräusch.“ „Wie klingen denn die Züge in Deutschland?“ – „Gar nicht!“ – „Aha! Und wenn eine Straße die Gleise kreuzt?“ – „Dann gehen die Schranken runter und hindern die Autos, auf die Gleise zu fahren.“ – „Dann müssen Züge in Deutschland gar nicht hupen? Wie praktisch!“
Eine Unterhaltung
Sie fragte uns, wie es uns hier gefällt, wir sagen enthusiastisch, dass wir es sehr schön finden. Sie:“Wirklich? Wir finden es hier sehr hässlich! Was macht Ihr hier?“ Ich: „Wir starteten in Boston …“. Sie unterbricht mich:“Wie hat Euch das gefallen? Wir mögen Boston nicht!“ – „Wir fanden es toll! Es ist so lebhaft und überhaupt nicht wie der Rest der USA.“ Sie:“Ja, es ist gar nicht wie die USA! Und dann?“ „Waren wir auf einer Indian Summer Tour. Aber warum gefällt es Euch hier nicht?“ Sie:“Es regnet immer, ist nur zwei Monate im Jahr warm, und überall sind Strommasten.“ Ich:“Ja, Strommasten, typisch amerikanisch! Gibt es in Deutschland auch nicht!“ – „Nein? Habt Ihr Stromleitungen unter der Erde? Das ist toll, das sollten Sie bei uns auch machen. Wie ist das Wetter in Deutschland?“
Ich sage, dass wir vier Jahreszeiten haben, und sie erzählt, dass es hier im Winter viel schneit, bis zu 2,5 Feet. Ich halte die Hand ans Knie:“So?“ – „Höher!“. Ich halte die Hand an den unteren Oberschenkel – doch sie sagt: „Höher! Wie viel Schnee habt Ihr in Deutschland?“. Ich:“Ich kenne mich nicht mit Feet aus, wir haben ja das metrische System.“ – „Ohjaaaaa! Ihr habt ja das metrische System!“. Ich zeige ihr etwa die Länge eines durchschnittlichen Schülerlineals als Schneehöhe. „Ach, das würden wir noch gar nicht als Schnee ernst nehmen!“, lacht sie. „Ich hasse Schnee!“
Sonnenuntergang in Cape Cod
Aber Cape Cod, unser heutiges Ziel, das findet sie gut. Kein Wunder, denn die bunten Holzhäuschen mit den weißen Holzzäunen und den Herbstblumen, die rauschenden Wellen am Strand und die engen Gässchen, das kann man nur schön finden. Ganz abgesehen davon ist Cape Cod die Schwulenhochburg Massachusetts. Wir als Kölner fühlen uns also sofort wie Zuhause. In einem kleinen Laden kaufen wir bei zwei Jungs etwas ein. Der eine fragt, woher wir kommen, fragt nach, als wir Deutschland sagen, ist entzückt, als er Cologne hört. Er war dort auch vor vier Jahren, sagt er. Hat einen Freund besucht, der vorher hier zu Besuch war. Was er in Köln gemacht hat, frage ich. „Viel Kölsch getrunken, viel gefeiert“, sagt er. „Aber den Dom habe ich mir nicht angesehen!“
Mit einer etwa 12 Kilometer-Wanderung endete unser Urlaub in den New England Staaten. Uns führte ein Fahrradweg durch den Küsten-Nationalpark. Das Besucherzentrum, das Museum, die Küstenwachstation und die Toiletten waren jedoch geschlossen wegen des government shutdown, des „Abschaltens der Regierung“. Die Touristen ließen sich davon nicht abhalten: Viele fuhren auf geliehenen Rädern durch den Küstenwald, wir waren die einzigen, die die Strecke zum alten Hafen wanderten.
Rücksichtsvolle Fahrradfahrer
Die Landschaft war mediterran: Die Bäume mit ihren langen grünen Nadeln vom Wind geformt, die einzigen Geräusche kamen von den zirpenden Grillen und den zwitschernden Vögeln. Dazu der Geruch des Sommers, nach warmer Erde und Nadelwald. Unterbrochen wurde diese Idylle ab und zu durch eine Fahrradklingel und einen Schrei:“Ich überhole Euch gleich links!“. Dieses für uns eher ungewöhnliche Verhalten ist eine Regel auf der Strecke. Fußgänger müssen links überholt werden, der Überholvorgang ist durch einen Ruf und das Klingeln anzukündigen. Die meisten Fahrradfahrer hielten sich daran. Auch ansonsten war der meist zweispurige Fahrradweg mit Anweisungen gespickt. So standen viele Schilder am Rand:“Vorsicht, es geht gleich steil bergab. Bremse!“ oder „Achtung, es wird kurvig!“ oder „Bitte schiebe Dein Rad durch den Tunnel!“.
Vorsicht Fisch!
Unser Highlight des Tages war jedoch ein Wal vor der weißsandigen Küste, den wir unabhängig voneinander einige Male sahen. Auch nach weißen Haien hielten wir Ausschau, nachdem uns ein Schild darüber aufklärte, dass es diese Tiere hier tatsächlich gibt. Die einzige weiße Spitze, die wir aber im tiefblauen Wasser sahen, entpuppte sich als Boje.