Unsere Route führt uns durch das hübsche Städtchen Manchester mit seinen bunten Holzhäuschen unter orange-gefärbten Laubbäumen, vorbei an Kirchen und Schulen und hinauf auf den Mount Equinox. Unter uns die Wolken und weite Wälder. Die vorherrschende Laubfarbe ist heute Gold. Dann fahren wir ein Stück auf engen Landstraßen durch den Staat New York und bis Connecticut. Hier sind wir in dem Örtchen Torrington. Zu sehen gibt es hier nichts, darum gehen wir auf den Friedhof. Viele der Grabsteine sind aus dem vorletzten Jahrhundert, umgefallen, liegengeblieben, festgewachsen. Auf sehr vielen steht statt eines Namens „Mutter“ oder „Vater“. Steht ein Name darauf, ist er oft deutsch.
Herbst in Torrington
Wir gehen weiter und landen bei Dollar General, einem 1$-Laden, um Wasser zu kaufen. An der Kasse steht eine kleine, dicke Frau an, ihr rotes, dünnes, fettiges Haar zum Pferdeschwanz gebunden, auf den rechten Oberarm ist ein großer Leuchtturm tätowiert. Neben ihr eine große Frau mit kurzem Haar und Baseballmütze, Sue. Die Kassiererin, ebenfalls Sue, zeigt ihnen ihren rechten Oberarm. Ihr Tattoo ist wie ein Armband mit einem indianischen Dreamcatcher und Federn dran. Der Dreamcatcher ist ein Ring mit einem Netz, in dem Träume hängen bleiben sollen. Die Käuferinnen sind beeindruckt. Wo hast Du das machen lassen?
In der Waterbury Street, sagt sie, zeigt ihren linken Oberarm: Ein brennendes Herz. Das auch, sagt sie. Aber er ist jetzt in Rente, ich vermisse ihn. Warst Du nie bei Candy, fragt die Frau mit den roten Haaren. Sie soll umgezogen sein. Nein, sagt die Verkäuferin, bei ihr war ich nie. Käuferin Sue bezahlt für ihr Motoröl, Verkäuferin Sue entschuldigt sich bei uns für die lange Wartezeit. So ist also Torrington in Connecticut. Und so ist die Mehrheit aller US-amerikanischen Städte. Die Annahme, alle Städte in den USA seien groß, schön, reich und voller Hochhäuser, seien New York, Los Angeles, Chicago oder Miami ist genau so falsch wie die, dass ganz Deutschland wie Berlin ist.
Nicht alle Amis sind reich
Das hat sich auch am Morgen, noch im Sherwood Forest, gezeigt. Ich dachte ja, wir seien Robin Hood dort noch nicht begegnet. Dabei war er die ganze Zeit vor unserer Nase: Als wir heute Morgen aus dem Frühstücksraum kamen, sahen wir ein Schild:“Wir haben heute Abend zu essen. Wir sind dankbar dafür. Nicht alle Nachbarn haben genügend Essen. Helfen wir ihnen.“ Darunter zwei Plastiktüten voll mit Konserven. Natürlich weiß man, dass nicht alle Amis reich sind. Und dass viele unter der Finanzkrise leiden. Trotzdem irritiert mich so etwas immer. Ganz abgesehen davon hatte ich in den vergangenen Tagen das Gefühl, New England sei finanziell besser gestellt als beispielsweise der Mittlere Westen. Hier sieht man zum Beispiel sehr viele BMW, Minis oder Volkswagen auf den Straßen und die Leute wohnen in sehr großen Holzhäusern, alles sieht gepflegt aus. Trotzdem scheint dieser Eindruck zu täuschen.
Hofflohmärkte in Connecticut überall
In dem Zusammenhang fällt mir etwas anderes auf: überall in Connecticut sind Hofverkäufe und Flohmärkte. Das will so gar nicht zu dem passen, was mir meine Freunde erzählt haben: Es gebe keine Gebrauchtkaufkultur wie in Deutschland und auch nicht die entsprechenden Internetplattformen. Hier jedoch ist an der Landstraße alle paar Kilometer ein Flohmarkt. Und viele Leute stellen einfach ihre Sessel, Schränke, Kinderwagen, Fitnessgeräte, Schneeräumfahrzeuge oder ihre Kleidung an die Straße und hängen ein Schild „Sale“ daran. Einige Vorgärten sehen so aus, als ob der gesamte Hausrat draußen zum Kauf angeboten werde. Ist das eine neue Form der Nachhaltigkeit? Also nicht einfach alles wegschmeißen, was man nicht braucht, sondern weiterzugeben? Oder geht es darum, ein bisschen Geld einzunehmen? Ich weiß es nicht, werde es wohl auch nicht herausfinden.