Sieben Stockwerke unter mir schlängeln sich Autos in die Stadt. Von ihrem Motorenlärm bekomme ich jedoch so weit oben im GHotel in Würzburg nichts mit. Während ich weiter die Autos beobachte, presse ich allerdings neugierig mein rechtes Ohr an die anthrazitfarbene Wand zum Nachbarzimmer. Und tatsächlich: Die leisen Töne eines Blasinstruments kommen von dort. Ich bin ganz aufgeregt! Denn das heißt, dass neben mir ein Musiker oder eine Musikerin des Kammerorchesters des Nationaltheaters Prag untergebracht ist. Er oder sie wird heute Abend auf der Bühne im Kaisersaal der Residenz sitzen und Werke von Mozart, Tschaikowski und Vorisek spielen. In Würzburg ist nämlich wie seit 1921 in jedem Jahr um diese Zeit das Fest zu Ehren von Wolfgang Amadeus Mozartfest.
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Und was hat Mozart mit Würzburg zu tun?
Mozart und Würzburg? Diese Frage habe ich mir selbst gestellt, als ich das erste Mal von diesem Fest gehört habe. Eigentlich ist es ein bisschen wie mit Goethe: Selbst, wenn er auch nur eine Nacht in einem Haus übernachtet hat, findet man dort heute eine Plakette, die darauf hinweist. Oder Beethoven: In Bonn gibt es eine Gaststätte neben dem Rathaus, in der man die Information bekommt, dass Beethoven dort getanzt hat. Mozart – nun ja, er ist auf dem Weg nach Frankfurt durch Würzburg gekommen. Und er war von der damals noch jungen Residenz begeistert. Sie ist heute übrigens UNESCO Weltkulturerbe. Und Mozarts Musik ist in der Stadt geblieben, auch wenn er nicht lange dort verweilt hat.
Das Mozartfest in Würzburg zwischen klassisch und modern
Die Residenz-Gala, zu der sowohl die Prager Musiker*innen als auch in der Stadt waren, ist nur eine von über 70 Veranstaltungen, die die acht festen Mitarbeiter*innen des Mozartfestes in diesem Jahr organisiert haben. Ich stelle es mir schwierig vor, jedes Jahr aufs Neue so viele Veranstaltungen rund um einen verstorbenen Musiker zu konzipieren. Katharina Strein, Geschäftsführerin, sagt mir dazu: „Wir arbeiten immer von einem Motto aus. Aus diesem werden dann die verschiedenen Konzerte generiert. Wir haben Klassikkonzerte, aber auch Unterhaltungsformate, die beispielsweise in einer Leerguthalle oder am Golfclub stattfinden. Und ja, das ist die Arbeit einiger Monate.“ Das Team des Mozartfestes arbeitet übrigens immer gut zwei Jahre im Voraus.
Das Mozartfest im Freien
Ein besonderes Highlight ist übrigens in jedem Jahr die Nachtmusik. Sie findet bei gutem Wetter im Hofgarten der Residenz statt. Die Besucher*innen dürfen dort picknicken. Aber wie es mit Open Airs eben so ist: Sie sind vom Wetter abhängig. Und bei Regen kann kein klassisches Konzert im Freien stattfinden. „Darum werden im Vorfeld nur die Tickets für einen Ausweichsaal verkauft“, erklärt man mir. „Wenn dann klar ist, dass das Wetter mitspielt, werden die restlichen Tickets am Veranstaltungstag angeboten“. Das sind dann immerhin mehrere tausend Tickets. Und weil die Würzburger das Prozedere natürlich kennen, bilden sich darum schnell bei guten Wetteraussichten lange Schlangen vor den Kassenhäuschen.
Mozart im Streaming-Zeitalter
Auch wenn Mozart im wahrsten Sinne des Wortes ein Klassiker ist: Die Digitalisierung hat auch die Musikwelt verändert. Man kauft heute keine Platten und CDs mehr, man streamt Musik. Man hört ihr nicht mehr nur konzentriert zu, sondern nutzt Kopfhörer, um Musik als Hintergrundgeräusch im Zug, Flieger oder in der Stadt einzusetzen. Bringt ein solcher Wandel im Verhalten der Konsumenten auch für die Macher des Mozartfestes Veränderungen mit sich? „Es gibt durch die Streamingdienste auch eine Chance für die Branche“, sagt Katharina Strein. „Man kann schneller in Musik hineinhören, ohne sich gleich etwas kaufen zu müssen. Außerdem glaube ich, dass der Live-Charakter unserer Konzerte nicht ersetzbar ist.“ Trotzdem muss man, um jüngere und neue Besucher*innengruppen zu erschließen, moderne Formate wagen.
Die Residenz-Gala beim Mozartfest in Würzburg
Mich hat das Mozartfest Würzburg allerdings zu einem ganz traditionellen Abend eingeladen, der Residenz-Gala. Und als ich das erste Mal das Gebäude betrete, verstehe ich auch, warum. Da ist das Foyer, aus dem die breite Treppe mit dem roten Teppich nach oben führt. Über den Besucher*innen sieht man das größte zusammenhängende Deckenfresko der Welt, das die Kontinente zeigt. Doch damit nicht genug: Daran schließt sich der Weiße Saal an, der nicht immer für Besucher*innen geöffnet ist. „Darum sind die Plätze für das Menü im Anschluss an das Konzert hier immer zuerst ausverkauft“, erfahre ich von den Veranstalter*innen. „Denn eigentlich wollen hier alle sitzen“.
Dabei ist der Gartensaal im Erdgeschoss mindestens genau so schön. Dort wölbt sich eine Deckenmalerei mit Blick in den Himmel über den Gästen. Besonders gefällt mir dort die Luftigkeit des Raumes und den Blick in den grünen Garten.
Wohin mich die klassische Musik geführt hat
Der Kaisersaal, in dem das Konzert stattfindet, ist so üppig dekoriert, dass man auch nach stundenlangem Anschauen noch neue Details findet. Da sind die schweren und glitzernden Kronleuchter, die zwei Reihen Fenster – oben rund, unten so hoch wie Türen. Und natürlich die Deckenfresken, die die Geschichte des Bistums Würzburg darstellen. Hier bei einem Konzert zu sein ist betörend für Ohren und Augen. Obwohl ich keine Ahnung von Musik habe, kann ich sagen, ob mir gefällt was ich höre – und ich kann beschreiben, welche Assoziationen die Musik bei mir auslöst: Während des Spiels des Kammerorchesters aus Prag war ich bei Mozarts Werken in einem Wald, ich hörte Vögel zwitschern und ein Bächlein rauschen. Vielleicht zog in der Ferne noch eine Jagd hoch zu Pferd vorbei. Im Laufe des Abends wurde der Wald dichter, das Bächlein zum wildrauschenden Fluss, und schließlich musst ich bei heftigem Gewitter Zuflucht unter einem imaginären Blätterdach suchen.
Wild und emotional endete das Konzert in meinen Ohren, und ich war tatsächlich etwas traurig, dass es vorbei war. Erfreut habe ich mich an dem jungen Pärchen vor mir, dass sich während Mozarts Musik fest an den Händen hielt, und auch an den Bravo-Rufen, die nach dem Konzert vereinzelt zu hören waren.
Essen vom Sternekoch beim Mozartfest in Würzburg
So gefüllt mit positiven Gedanken kam nach dem Konzert der letzte Programmpunkt: Das dreigängige Menü von Benedikt Faust, Sternekoch im Kuno 1408 in Würzburg. Mit seinem Team hatte er schon vor der Veranstaltung Kleinigkeiten gereicht: Hähnchenstücke in Feigensenf, Hirtenkäse, der nach Basilikum und einem Sonnentag schmeckte und Forellenmouse mit Chorizo – Leckereien, wie man sie sich bei einem Picknick wünschen würde. Aber selbst vermutlich nie machen wird. Dazu gab es fränkischen Winzersekt und Wein, eingeschenkt von den Weinprinzessinnen aus der Region. Wer übrigens denkt, die jungen Damen seien im Wesentlichen nur nett anzuschauen, täuscht sich: Ich wäre einer Fachdiskussion in Sachen Wein mit Sicherheit unterlegen. Denn um Weinprinzessin zu werden, muss man sich mit der Materie auskennen.
Immer mehr internationale Gäste
Nach dem Konzert, also schon recht spät am Abend, gab es dann für die Besucher*innen der Residenz-Gala das eigentliche Menü: Salatsüppchen mit der gewagten Kombination von Blutwurst und Flusskrebsen, sehr zartes Fleisch mit Tomätchen und Kartoffelbrei sowie ein Dessert mit Kirsche und Pfirsich. Immer etwa zehn Leute saßen an den großen, runden Tischen. Bei solchen Veranstaltungen kann man Pech haben – aber wir hatten Glück: Rechts von mir saßen ein gebürtiger Ire, mit seiner Partnerin aus Norddeutschland, die beide seit 20 Jahren in Würzburg leben, aber tatsächlich erst das zweite Mal beim Mozartfest waren.
Auf der anderen Seite das krasse Gegenteil: Ein Ehepaar aus der Schweiz, schon etwas älter, das seit 35 Jahren jedes Jahr zu Gast beim Mozartfest ist. Damit reihen sie sich ein in eine steigende Zahl internationaler Gäste: Selbst aus den USA, Taiwan, Russland oder China kommen immer mehr Besucher*innen nach Würzburg, um hier klassische Musik zu hören, die Stadt mit ihren geschichtsträchtigen Bauten zu besichtigen – und gleichzeitig die fränkische Kulinarik mit den hiesigen Weinen zu genießen.
Als Journalistin halte ich mich an den Pressekodex des Presserats. Das Mozartfest Würzburg hat mich zur Residenz-Gala eingeladen und mein Zimmer für eine Nacht im GHotel bezahlt.