Für Sabrina Napangardi Granites, Athena Nangala Granites und Julie Nangala Robertson ist es ein weiter Weg gewesen. Sie sind extra zur Eröffnung von Revisions made by the Warlpiri of Central Australia and Patrick Waterhouse im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln aus Australien angereist. Und das im Dezember, ausgerechnet an dem Wochenende, an dem es in Köln geschneit hat. Das erste Mal in ihrem Leben haben sie Schnee gesehen, erfahre ich kurz vor der Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung.
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Revisions: Eine Reise indigener Künstler*innen aus Australien ins Rautenstrauch-Joest-Museum
Das dürfte ein bewegender Moment gewesen sein. Doch wichtiger als das Naturspektakel, das auch die Kölner*innen verzaubert hat, ist für diese drei, die indigene Gruppe der Warlpiri und ihre Kunst bekannter zu machen. Zwar verkauft Cecilia Alfonso vom Art Center Management, das die Warlpiri betreut, deren Kunst weltweit. Doch Ausstellungen in Museen sind eher selten. Allein darum sollten die Kölner*innen Revisions besuchen. Es könnte ihre einmalige Chance sein, sich mit dieser Kunst auseinanderzusetzen.
Das ist jedoch nicht das einzig Besondere an der Ausstellung. Vielmehr spielt auch eine Rolle, dass ethnologische Museen im Wandel sind. Zeigte man früher, was in der Kolonialzeit gesammelt worden war, so geht es heute eher darum, den Menschen im globalen Süden selbst eine Stimme zu geben. Und dafür ist das Thema der Warlpiri bestens geeignet. Sie lebten nämlich bereits im heutigen Australien, als James Cook den Kontinent noch nicht als seine Entdeckung ausgab. Gemeinsam mit dem britischen Künstler Patrick Waterhouse haben diese Australian First Peoples acht Jahre lang eine Sammlung von Landkarten, Fotos, Flaggen und vielem mehr bearbeitet. Sie haben den Umbenennungen und Neustrukturierungen der Kolonialmacht ihre Sichtweise auf künstlerische Art hinzugefügt. Damit korrigieren sie die Grenzen und Umstrukturierungen der Europäer*innen. Sie kämpfen gegen ihre Ausgrenzung und stellen sich selbst wieder in den Mittelpunkt.
Warlpiri-Kunst im Fokus: Seltenheit und Bedeutung in ethnologischen Museen
Revisions ist also ein hochpolitisches Thema. Auch vor dem Hintergrund, dass die Australier*innen erst im Oktober in einem Referendum mehr Recht für die indigenen Bewohner*innen in ihrem Land abgelehnt haben. Aus meiner Sicht eine ausgesprochen kolonialistische Entscheidung – vor allem im Jahr 2023. Umso stolzer sind Sabrina, Athena und Julie, dass die Kunst, an der 16 bis 90-Jährige aus ihrer Gemeinschaft, aus ihrer Familie, über so lange Zeit gearbeitet haben, eine eigene Ausstellung bekommt. Wenn auch fern der Heimat.
Aber: „Die Wahrheit über Australien wird erzählt“, sagt Philip Watkins, der ebenfalls zur Ausstellungseröffnung nach Köln gekommen ist. Er ist CEO von Desart. Zu diesem Unternehmen gehören in Central Australia 30 Kunst- und Handwerkszentren der Indigenen. Unter anderem auch das Warlukurlangu Art Center, dessen Künstler*innen hinter der Ausstellung Revisions stehen. „Die Warlpiri können mit dieser Ausstellung ihre Geschichte in die Welt tragen und zeigen ‚Uns gibt es und uns wird es immer geben‘“, fügt er hinzu.
Während es mir völlig logisch erscheint, dass man die Künstler*innen zu ihren Werken hört und sieht, erfahre ich erst einige Tage später, wie ungewöhnlich dieser Ansatz noch heute in vielen ethnologischen Museen ist. Denn ich habe mir bis zur Führung mit der Friedrich Naumann Stiftung durchs Rautenstrauch-Joest-Museum nie Gedanken darüber gemacht, dass viel, was wir in diesen Museen sehen, einst von den Kolonialmächten teils mit Gewalt den Besitzer*innen weggenommen wurde.
Restitution: Herausforderungen bei der Rückgabe von Kulturgegenständen
So auch die Benin-Bronzen, die derzeit noch als Leihgabe in der Ausstellung I miss you gezeigt werden – aber bereits wieder nigerianisches Eigentum sind. Sie wurden einst im Königreich Benin der Königsfamilie weggenommen. Im Prinzip, so erfahre ich bei der Führung, stahl man deren gesamte Geschichte und brachte sie nach Europa. Eine Teilnehmerin bringt es auf den Punkt: „Es ist also so, als ob ich im Museum die Bilder und Büsten meiner Vorfahren sehen würde, ihren Schmuck und ihr Spielzeug – nur dass ich dafür Eintritt bezahlen und in ein fremdes Land reisen muss.“
Im Fall der Benin-Bronzen ist die Rückgabe relativ einfach, denn sie sind leicht ihrem Ursprungsort zuzuordnen. Das ist jedoch nicht bei jedem Exponat im Rautenstrauch-Joest-Museum möglich. Denn die Sammlung dort, so erfahre ich bei der Führung, ist im Wesentlichen nicht wissenschaftlich angelegt und aufgebaut wie beispielsweise in Berlin, sondern war eine Art private Souvenirsammlung früher Vielreisender – der Rautenstrauchs und Joests eben.
Besucher*innen sehen nur einen Bruchteil der Exponate
Das Thema Restitution von Kulturgütern beschäftigt derzeit übrigens alle ethnologischen Museen in Europa. Echte Probleme gibt es an den Stellen, an denen eine Zuordnung zu einem bestimmten Land nicht möglich ist, oder wenn Exponate an Privatleute verkauft wurden. Denn dann gibt es keine Dokumentation über den Verbleib.
Auch nach der Rückgabe der Benin-Bronzen wird das Rautenstrauch-Joest-Museum noch lange nicht leer sein. Bei einer dritten Führung in diesen Tagen, dieses Mal mit der Kölner Journalisten-Vereinigung, erfahre ich, dass üblicherweise Museen lediglich etwa 5 Prozent der Exponate ausstellen. Ein Großteil liegt entsprechend im Depot. Im Falle des Rautenstrauch-Joest-Museums ist dieses gesichert durch viel schwere Türen und ein ausgeklügeltes Zugangssystem.
Hinter den Kulissen des Rautenstrauch-Joest-Museums: Einblicke in die Lagerung von Exponaten
Dort, im Herzen des Hauses, hat jedes der 68.000 Exponate seinen eigenen Platz in einem fahrbaren Regal. Diese Plätze sind auf so genannten Tablaren, das sind eine Art herausziehbare Schublade mit einem sehr weichen Boden, so dass die Exponate dort sicher liegen. Zu meinem großen Erstaunen gibt es dort so genannte kultursensible Objekte. Davon ist häufig die Rede, wenn es um sakrale Stücke geht. Sie dürfen manchmal nicht neben Gegenständen aus beispielsweise anderen Religionen liegen. Andere dürfen nicht von Frauen betrachtet oder berührt werden.
Das kommt mir im ersten Moment merkwürdig vor. Allerdings fängt Toleranz für andere Kulturen da an, wo es beginnt, weh zu tun. Insofern denke ich, man muss diese Regeln respektieren – so wie es die Museumsmitarbeiter*innen auch tun. Selbst dann, wenn die zugehörigen Nationen oder Gemeinschaften so weit entfernt sind, dass sie es niemals erfahren würden, wenn man ihrem Wunsch nicht nachkommt. Denn das ist eine Frage der Ethik.