Fünf Wochen vor der Internationalen Funkausstellung in Berlin den Entschluss zu fassen, zu eben dieser fahren zu wollen, ist etwas kurzfristig: Die Hotelsituation ist schwierig. Zur Auswahl stehen entweder Räume, die im Internet muffig, plüschig und lange nicht renoviert aussehen. Oder die Preise sind jenseits meiner Vorstellungen. Über hotels.com stoße ich schließlich auf das Motel plus. Die Bilder sehen ganz nett aus, der Preis macht mich skeptisch: 60 Euro pro Nacht, kann das was sein? Um es vorwegzunehmen: Das Zimmer ist spartanisch modisch, neu gemacht, das Bad auch, die Matratze ist genau so hart wie ich sie schätze. Da wir einen Gutschein aus dem Kundenbindungsprogramm von hotels.com haben, zahlen wir nur etwas mehr als eine Nacht für das Wochenende, alles in allem also ein guter Deal.
Kurz vor der Reise schaue ich mir genauer an, wo das Hotel liegt: Silbersteinstraße, Haltestelle Hermannstraße. Sagt mir nichts, obwohl ich schon viel Zeit in der Hauptstadt zugebracht habe. Meine Berliner Freundin weiß jedoch Bescheid:“Neukölln“, sagt sie. „Der neue In-Bezirk. Dort trifft sich neuerdings alles, was jung, aktiv und kreativ ist.“ Als wir gegen 21 Uhr dort ankommen, ist es schon dunkel. Doch da in jedem Haus eine Shisha-Bar, ein türkisches, indisches, vietnamesisches Restaurant, ein Spätkauf, ein Döner- oder Shawarma-Laden, ein Café, Musikgeschäft, ein Bäcker oder eine Spielhalle ist, ist die Straße gut erleuchtet. Man könnte auch sagen, sie ist vielleicht ein bisschen zu bunt, denn die Besitzer geizen nicht mit grün-roten Lichterketten und großformatigen, beleuchteten Schildern an den Häusern. Einige der kleinen Restaurants machen bereits um 22 Uhr zu, während andere damit werben, 24 Stunden geöffnet zu haben. Vor einem Imbiss mit vegetarischem Kebab bildet sich eine Schlange bis zur nächsten Haustür. Eine Frau, die einen der sechs Stühle vor dem Imbiss erobert hat, quiekt laut, als ihr eine Maus über den Fuß rennt.
Berlin-Neukölln: Anders sein müssen
Wir entscheiden uns für das India Palace, sitzen draußen auf dem zur Straße hin abfallenden Bürgersteig. Es ist einer der letzten warmen Abende des Jahres, und viele Leute sind auf der Straße. Ein Mann torkelt hinter uns vorbei, zwei Frauen sprechen im Vorbeigehen US-amerikanisches Englisch, ein Pärchen geht seines Weges: Beide haben ihre Dreadlocks zum Knoten hochgebunden und tragen Hosen, die im Schritt bis zu den Knien reichen. Junge Frauen tragen gerne Kränze aus künstlichen Blumen im Haar, junge Männer Vollbart und Brillen aus den 70ern. Fast scheint es manisch zu sein: Anders aussehen zu wollen als der Durchschnitt. Unsere Nachbarn sprechen im Wechsel deutsch, englisch und eine nordische Sprache – vielleicht ist es Dänisch. Mein geschmortes Gemüse mit Reis und Salat kostet 5,50 Euro. Bei Foursquare beschwert sich jemand, dass das India Palace zu teuer sei.
Internationales Berlin-Neukölln
Auf dem Rückweg zum Hotel kommen wir an einem türkischen Restaurant vorbei, „Frühstück“ steht über der Tür. Der abgebildete Teller mit Wurst, Gemüse und Pasten sieht lecker aus. Wir fragen nach dem Preis, doch die Inhaberin, die gerade die Tür schließen will, schaut nur hilflos ihren Mann an, sagt „Fertig!“. Der Mann schaut ebenso und holt schnell seinen Sohn. Der muss die Karte um Rat fragen, erklärt uns dann aber im besten Deutsch die Unterschiede zwischen den Frühstücken. Das Günstigste kostet 3,20 Euro – inklusive Kaffee oder Tee. „Anatolischem Tee!“, betont er und zeigt hinter die Theke: „Wir haben diese schöne Kanne und brühen ihn damit auf traditionelle Art.“ Zurück im Hotel zeigt sich hier seine Schattenseite: Das Haus, in dem früher die Familienkasse untergebracht war, ist hellhörig. Egal, ob jemand das Waschbecken oder die Toilette benutzt: Es klingt wie ein Wasserfall im Zimmer. Wir nehmen auch Anteil am Befinden eines Mannes, der sich gegen 3 Uhr nachts übergibt. Und die Gespräche eines Paares im Innenhof direkt unter unserem Fenster halten mich ab halb sechs vom Schlaf ab. Als es hell wird, geht das Paar ins Haus, Zeit zum Schlafen! Nicht für mich! Ich stehe auf. Ein langer Tag in der Hauptstadt liegt vor mir.
Ja, ich hab während der ITB 2 Nächte im Motelplus verbracht. Aber die Gegend erschien mir eher trübe. Hab kaum Restaurants gesehen. Eine Bäckerei erschien mir so unsauber und die Brötchen so unappetitlich, dass ich gleich wieder kehrt machte.
Mal sehen, was ich nächstes Jahr mache!
LG Ulrike
Auf der Hermannstraße, also die nächste große zur Silberstein, wo auch die S- und die U-Bahn fährt, sind recht viele Restaurants.