Quer durch Maine sind wir heute gefahren, bis kurz nach der Grenze zu New Hampshire. Vorbei an Neapel, Dänemark, Schweden, Belgrad, Palermo und China bis in die White Mountains. Zwar keine ganz kurze, aber eine gemütliche Strecke: Die einspurige Straße schlängelte sich durch leichte Hügel, rechts und links Mischwald. Die Laubbäume trugen teilweise schon gelb, orange und einige sogar schon rot. Und die Herbstsonne versteckte sich manchmal hinter dramatischen Wolken am sonst blauen Himmel. Maine gab sich also größte Mühe, sein bestes Gesicht zu zeigen.
Quer durch den Indian Summer Richtung New Hampshire
Mit einem Automatikauto und Tempomat auf dieser Strecke unterwegs zu sein, das ist wie im Wohnzimmer auf dem Sofa zu sitzen und in den Fernseher zu schauen. Mit dem kleinen Unterschied, dass man diesen Film jederzeit individuell ausgestalten kann, beispielsweise um in einem Café am Straßenrand Kaffee zu trinken, an einem See mitten im Wald kurz Luft zu holen – oder um ins Outlet zu gehen. Da waren wir, als wir feststellten, dass wir viel zu früh waren, um unsere kleine Hütte in North Conway schon zu beziehen, die für zwei Nächte unsere Unterkunft ist. Sie steht mit fünf anderen unter hohen Tannen, hat einen kleinen, schmiedeeisernen Gasofen mit Holzscheiten und mal mehr, mal weniger flackerndem Feuer, eine rotgeblümte Tagesdecke auf dem Bett und blaue Vorhänge. Wäre es wärmer, könnte man auf der Holzterrasse im Schaukelstuhl sitzen.
Durch New Hampshire mit dem historischen Zug
90 Minuten mit einem historischen Zug durchs Tal, das klingt toll. Vor allem, weil der Zug neben den Skiliften, die jetzt aber noch nicht im Einsatz sind, die Hauptattraktion des Ortes ist. Und ja, der Zugwagen ist wunderbar: aus Holz, die Fenster lassen sich hochschieben, bequeme Rattanstühle stehen so, dass die Fahrgäste zum Fenster raussehen können. Es ist ein alter Pullmann, ein 1.-Klasse-Wagen, der sicherlich das Herz vieler Zugfreunde höher schlagen lässt. Und die Fahrt damit wird in allen Reiseführern als das Erlebnis schlechthin in North Conway angepriesen. Tatsächlich ist es nett. Allerdings ist der Ausblick etwas enttäuschend, denn man sieht fast nur Bäume, ab und zu einen See. Sicher schön, aber nicht ganz das, was ich von einer Fahrt ins Tal erwartet hatte. Möglicherweise sind die anderen Zugfahrten, die angeboten werden, ergiebiger.
Surreale Landschaft auf dem Gipfel
Weniger stark wird die Selbstfahrer-Tour zum Mount Washington angepriesen. Sie ist aber, so meine persönliche Meinung, das eigentliche Highlight der Region: eine Straße, oft eng, an einer Stelle ungeteert, schlängelt sich auf fast 2.000 Meter hinauf. Oft ist sie ungesichert, für Menschen mit Höhenangst also der blanke Horror. Dafür entlohnt der Blick über die Region: Berge und Täler mit Laubbäumen dicht bewachsen. Hunderttausende oder gar Millionen Bäume. Sie alle schon in herbstlichen Farben. Das ist wunderbar.
Je höher man kommt, desto weniger Vegetation gibt es. Grünliche Felsbrocken und Eis sind alles, was auf dem Hügel eine karge Landschaft bildet, ab und zu überlagert von Wolkenfetzen, die Teile des Bildes für Sekunden ausblenden. Surreal wirkt diese Szenerie. Allerdings sorgt die Menge an anderen Touristen dafür, dass man die Bodenhaftung nicht verliert. Schließlich sind auch wir nur zwei von vielen, immer auf der Suche nach den besten Eindrücken. Und davon hat New England reichlich zu bieten.