Christoph Kuckelkorn, ein Mann, der untrennbar mit Köln und dem Karneval verbunden ist, machte den Auftakt als Gast in der Gesprächsreihe „Sauerstoff Demokratie“ im Urania-Theater in Ehrenfeld. Die Reihe ins Leben gerufen haben Bettina Montazem vom Urania-Theater und Thomas Hackenberg, Schauspieler, Moderator und Autor. Ihr Ziel: „Zu zeigen, was es eigentlich bedeutet, für Demokratie einzutreten. Ganz konkret, hier in Ehrenfeld“, sagt Bettina. Man wolle sich analog miteinander auseinandersetzen, nicht über anonyme social Media Profile. Im Vordergrund stehe das gemeinsame Zuhörern, nicht die Bewertung durch einen Moderator.
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„Wir müssen wieder lernen, Argumente zuzulassen“ sagt Thomas Hackenberg im Vorgespräch mit mir und der Kollegin von Choices. „Hass ist einfach, wenn man sich nicht kennt. Aber jemandem in die Augen schauen und eine Hassbotschaft zu äußern, das ist etwas anderes“. Das Angebot soll außerdem so niedrigschwellig wie möglich sein. Nicht nur Menschen mit einem Budget für Kultur sollen daran teilnehmen können. Darum kosteten zumindest für die erste Gesprächsrunde die Karten einen Euro. Weitere Gesprächsrunden sollen folgen – wer wann da sein wird, steht jedoch noch nicht fest.
Urania-Theater: mit Kultur für Demokratie
Wie wichtig eine solche Veranstaltung ist, wird spätestens klar, als Bettina Montazem später auf der Bühne steht und ihre Gäste begrüßt. „Heute habe ich das Gefühl, dass ich politisch gesehen in der Minderheit bin“, sagt sie. „Das erste Mal, das macht mir Angst“. Bettina hat ihre ersten Jahre im Iran verbracht hat, bevor sie nach Deutschland geflüchtet ist. Und dann übergibt sie Jörg Bong, Buchautor, das Mikro. Er führt bei dieser Premiere das Gespräch – mit Christoph Kuckelkorn. Dieser ist Inhaber des Bestattungshauses, das seit vielen Generationen seiner Familie gehört, und Präsident des Festkomitees des Kölner Karneval. Außerdem war er zwölf Jahre Leiter des Rosenmontagzugs.
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Christoph Kuckelkorn über die Verantwortung des Karnevals
Kuckelkorn berichtete von der Aufarbeitung des Thema „Karneval in der NS-Zeit“ während seiner Präsidentschaft. „Karneval war gleichgeschaltet, er diente der Propaganda der Nazis“, sagt er. Ein prägender Moment war für ihn, als er in einer Ausstellung zum Thema im El-DE Haus auf dem Brief des Festkomitees, „also eigentlich auf meinem Briefpapier“, las, dass „die Juden nicht“ teilnehmen durften. Auch 1941 habe man in Köln Karneval gefeiert, sich umarmt – und sich mit „Heil Hitler!“ begrüßt.
Durch seine Aktivitäten war er schließlich auf schwarzen Listen gelandet. „Und da fragt man sich als Familienvater schon: Mach ich weiter oder nicht?“, sagt er. Dabei sei der Karneval hervorragend geeignet, um Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen: „Wir singen ‚Unser Stammbaum‘“, sagt er. „Wir müssen auch danach handeln!“ Außerdem sei ein wesentlicher Bestandteil des Karnevals, auf Fremde zuzugehen, gemeinsam Kölsch zu trinken. „Das hilft übrigens auch, um mit denen ins Gespräch zu kommen, die in der Gemeinschaft wegen ihrer eher rechtspopulistischen Einstellung auffallen: Ich gehe zu ihnen, suche den Dialog. Ich möchte ihre Gründe für ihr Verhalten erfahren“, so Kuckelkorn. „Ein Kölsch ist eine Einladung zum Gespräch.“
Gemeinsames Singen verbindet
Auch das Singen hebt er hervor: „Das bringt Menschen aus allen Ecken zusammen, das fördert Toleranz!“. Darum gehe das Festkomitee auch mit dem Kinder-Dreigestirn in Schulen, besonders gerne in die, in denen 90 Prozent der Schüler*innen aus einem anderen Kulturkreis kommen. Wenn man das wieder und wieder mache, beteiligten sich die Schulen irgendwann am Veedelzuch, die Eltern fingen an zu basteln – eine Gemeinschaft entstehe. „Auch das ist eine Form der Integration“, so Kuckelkorn.
Ein weiteres Beispiel für die kölsche Toleranz nicht nur im Karneval nennt Jörg Bong: „Ein sehr demokratischer Spruch ist ‚Jeder Jeck is anders‘. Schließlich bedeutet das: Egal, welche Musik du hörst, welche Sprache du sprichst – wir haben alle die gleichen Rechte.“ Bettina kommt später auf diesen Spruch zurück: „Für mich ist das die perfekte Umschreibung von Artikel 1 Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Wunsch und Realität im Urania-Theater
Doch weder in Köln, noch im Karneval, ist alles nur bunt, offen und freundlich: Christoph Kuckelkorn erzählt, wie er einmal mit einer Kippa am Karneval unterwegs war. Die Folge: „Einige fanden es toll, andere brauchten ein Kölsch, um damit klarzukommen, dritte gingen mir aus dem Weg“, sagt er. Darum müsse man auf Missstände aufmerksam machen. Beispielsweise, wenn man auf einer Hundertjahr-Feier eines Karnevalsvereins eine Rede halten soll – denn 1925, also im Gründungsjahr, waren bereits erste „braune Schlieren“ zu erkennen.
Um so wichtiger war die Aktion 2024, bei der Jecken eine Menschenkette an der Synagoge bildeten, um gegen Antisemitismus zu protestieren. „Uns muss klar sein, dass wir als Aktive im Karneval diejenigen sind, die zusammenführen, nicht die, die spalten“, sagte Christoph Kuckelkorn. Das gelte besonders in einer Zeit, in der Karneval und die Bundestagswahl so eng beieinander liegen. Das übrigens könnte in den kommenden Jahren noch häufiger passieren.