„Moin!“, sagt Julia Möhlenbruck, und ihre hellblauen Augen strahlen aus dem braungebrannten Gesicht unter den von Sonne und Salzwasser gebleichten blonden Haaren. „Moin!“ sagt sie zu den „turistas“, zu den Touristen im Tauchclub, und wenn dann mit dem gleichen nordischen Zungenschlag die Begrüßung zurückkommt, dann freut sie sich richtig. Die 26-jährige lebt mit kurzen Unterbrechungen seit einem Jahr auf der Kanareninsel La Gomera, die zwischen Teneriffa und der kleinsten Kanareninsel El Hierro liegt. Und für sie ist klar, dass sie die nächsten fünf, sechs Jahre auch nirgendwo anders sein möchte.
Geboren wurde sie in Bremen und wohnte damals mit ihren Eltern am Osterdeich, schräg gegenüber vom Wehrschloss. Die zogen, als sie fünf war, nach Achim-Baden, wo sie auf der Grundschule und dem Gymnasium war. Abitur machte sie dann aber in Verden am Dom-Gymnasium. „Gomera ist mein Schicksal!“, sagt sie heute. In Marburg, wo sie nach ihrer Zeit in Bremen und Achim-Baden studierte, kam sie an einem Reisebüro vorbei und sah zufällig eines der für Gomera typischen kleinen Steinhäuschen im Grünen auf einem Plakat. „Wo ist das? Da will ich hin!“, dachte sie. So kam es, dass sie in den nächsten Ferien ins Reisebüro ging und nach einem Last-Minute-Flug nach Teneriffa fragte – von dort fährt man mit der Fähre zur Nachbarinsel. So hatte Julia Möhlenbruck Weihnachten 1998 „den besten Urlaub ihres Lebens“, war fischen und Fiesta feiern mit Leuten aus dem Ort, die sie kennen lernte, mit echten Gomeros und fühlte sich sehr heimisch.
Vom Urlaub zum Praktikum
Im März 1999 war sie zum zweiten Mal dort in Urlaub, „das war wieder genial“, und sie fasste den Entschluss, auf La Gomera ein Praktikum zur Vorbereitung auf ihre Diplomprüfung in Sozial- und Sonderpädagogik zu machen. So kam sie im September 1999 wieder auf die Insel mit den nur rund 17.000 Einwohnern, „nach Hause“, frischte ihre Spanischkenntnisse auf, arbeitete dann auf der ehemals verruchten „Aktionsanalytischen Organisation Bewusster Lebenspraxis“, heute ist es eine alternative Ferienanlage – El Cabrito – und machte dort ihren ersten Tauchgang.
„Das große blaue Meer, el gran azul“ hat es der jungen Frau aus Deutschlands Norden angetan: Von dem Moment an will sie nichts anderes mehr machen als tauchen und damit möglichst ihr Geld verdienen. Erst will sie den „Rescuediver“, den Rettungstaucher machen, dann den Tauchlehrerschein. Auf Teneriffa möchte sie demnächst eine Hausarbeit über Tauchen mit Körperbehinderten schreiben und auch diesen Tauchschein machen, und ihre Diplomarbeit will sie Anfang nächsten Jahres schreiben über „Erlebnispädagogik: Tauchen als therapeutische Möglichkeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen“„
Ihr Eltern vermisst sie nicht? – „Nö, mit denen telefoniere ich ja bis zu dreimal die Woche, je nachdem, wie das Geld reicht.“ Die Freunde vielleicht? – „Nö, die mailen fleißig und kommen nach und nach auch alle mal hier auf Besuch vorbei!“ Wenn sie Geld genug hat, möchte sie aber auch in Zukunft einmal im Jahr nach Deutschland fliegen, ihre Eltern in Bremen in der Colmarer Straße besuchen und mit ihrer Freundin Simone auf den Flohmarkt auf der Bürgerweide gehen, mit der Fähre ins Café Sand fahren und abends am besten in den Schlachthof zu einem Konzert gehen.
Ziel: der Tauchschein
Trotzdem ist Gomera „ihre“ Insel: „Auf Gomera sind immer Leute auf der Straße!“, sagt sie, „das ist schön. Und die Berge hier, meine Freunde, die Fiestas in den kleinen Dörfern, die gedünsteten Kartoffeln mit der scharfen roten Soße und dazu ein Landwein – das ist schon toll!“ Aber schön findet sie es auch, wenn es richtig kalt ist und der Wind um die Ohren pfeift und man dick eingepackt draußen spazieren geht, wie in Norddeutschland eben. Das hat sie auf Gomera aber selten, „T-shirt-Wetter ist hier immer“, denn die Sonne scheint hier eigentlich ständig, und das Wichtigste: Der Himmel ist blau! „Bremen und Marburg könnten so schöne Städte sein, wenn nur das Wetter etwas besser wäre!“
Natürlich hat die Kanareninsel auch Fehler aus Julias Sicht: als ein wenig kulturarm beschreibt sie „ihre Insel“ und „die Touristen haben ein besseres Umweltbewusstsein als die Gomeros mit ihren wilden Müllkippen!“. Auch das Rollenverständnis gefällt ihr nicht so gut: Männer sind Machos und Frauen werden geheiratet. Ihre Freunde sind allerdings nicht so, schränkt sie ein. Und einige Gomeros „kennen nichts als ihre Insel – da ist dann die Sichtweise vielleicht etwas eingeschränkt!“. „Außerdem“, fügt sie mit einem Lächeln hinzu, „fehlen mir hier die Schoko-Leibniz-Kekse und Kinderschokolade!“
Fünf, sechs Jahre will sie nach ihrem Diplom am Stück auf der Kanareninsel leben, Tauchen lehren, vielleicht soziale Projekte mitaufbauen und Meeresbiologie auf Teneriffa studieren. Und dann langsam weiter ziehen – „mit einer Ausbildung zum Divemaster, also mit der Bescheinigung anderen das Tauchen beibringen zu dürfen, kann man eigentlich überall arbeiten, wo es Wasser gibt“, sagt sie. „Nach Deutschland zieht es mich zunächst nicht zurück!“
Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht im Weser Kurier am 21. April 2001.