Das musikalische Intro ist lang. Sehr lang. Aber vielleicht ist das auch ganz gut so, denke ich, als ich gestern bei der Vorpremiere im Staatenhaus in Köln sitze. Denn so kann man hier mental erst einmal ankommen, den Alltag hinter sich lassen, und dann mit voller Aufmerksamkeit ins Divertissementchen eintauchen. Gut 225 Menschen sind an dem Tanz-Schauspiel-Gesang-Stück beteiligt: 98 Mitwirkende auf der Bühne, 60 im Orchester, 25 sind für die Regie, Ton, Licht und ähnliches im Einsatz. Und während einer Vorstellung kommen noch 40 Beschäftigte der Oper Köln dazu, die sich unter anderem um die Garderobe und Verpflegung der Gäste kümmern.
Das diesjährige Stück der Bühnenspielgemeinschaft Cäcilia Wolkenburg im Kölner Männer-Gesang-Verein erzählt die Geschichte des organisierten Karnevals in Köln. Denn der hat 2023 ein Jubiläum: Wir feiern ihn seit 200 Jahren.
Das Divertissementchen 2023: Die Geschichte des organisierten Karnevals
In seine Anfänge nehmen uns Margarete (Rainer Wittig), Liss (Manuel Anastasi), Änni (Karl Gesell) und Stina (Simon Wendring) mit. Die vier träumen nämlich in der Schlafszene – pardon, in der Schafszene – oder in der Schlaf-Schaf-Szene? Egal, sie träumen auf jeden Fall, dass sie et Trömmelche jehört haben. Und wie sie noch darüber nachdenken, warum den Kölschen der Karneval so wichtig ist, landen wir schon mit ihnen im Jahr 1823 und auf dem Kölner Marktplatz. Da hält die Kutsche 4711, da tummeln sich Männer und Frauen. Und da sind welche mit Pickelhauben auf dem Kopf und in blauer Uniform. Was zum Kuckuck wollen die Preußen im Rheinland? Den Karneval verbieten, natürlich. Das Singen, Tanzen und Lachen, eigentlich also das hiesige Lebensgefühl.

Das lassen sich die Kölsch Mädcher nicht gefallen. Mit Kölsch gewinnen sie den preußischen Sekretär Otto von Stiesel (Jan Faßbender) für sich. Mit der Idee eines organisierten Karnevals mit Festkomitee und Ordnung einen weiteren. Doch dann kommt es zum Eklat zwischen der kölschen High Society und dem einfachen Volk. Am Ende entscheidet Fritz Willi, seines Zeichens König von Preußen, höchstpersönlich und vor dem Brandenburg Tor, wie es mit dem Karneval weitergehen soll. Seine Minister Haarbecki, Bockbär, Klabautermann und die Opposition aus dem Söden, nein, aus dem Süden, sind dagegen. Doch am Ende kütt d’r Zuch und et hätt noch immer jot jejange.
Rechts und links geschaut
Das ist stark verkürzt die Geschichte der fast dreistündigen Aufführung. Eingebettet werden auch der Karneval in Venedig sowie die Beueler Wäscherinnen, die übrigens 2024 ein Jubiläum feiern werden. Sie gelten quasi als Erfinderinnen des Wieverfastelovends, weil sie sich einen Tag frei nahmen, um es ihren Männern gleichzutun, die angeheitert aus Köln zurückkamen.
Gewusst? 2024 feiert die Bühnenspielgemeinschaft Cäcilia Wolkenburg selbst auch Jubiläum. Sie wird nämlich 150 Jahre alt. Zuschauer*innen können sich über ein Onlinerückmeldesystem oder auch über Postkarten einen Treuerabatt für die Karten für 2024 sichern. „Zillche en Jefahr“ wird die Aufführung im kommenden Jahr heißen. Und dabei geht es um den Ausverkauf des Karnevals.
Eine Revue im Friedrichstadtpalast kommt aufs Parkett und natürlich jede Menge Musik: Töne von Kasalla oder den Bläck Fööss, teils bekannte, oft auch neue und äußerst humorvolle Texte. Ein Beispiel? „Wann nit hück, wann dann, wann nit he, saach uns wo un wann? Wann nit do, wä sons, et weed Zick, nemm di Jlöck selvs en de Hand“ – erkannt?
Praktischerweise werden die Texte auf Monitoren rechts und links vom Publikum angezeigt, so dass man sie einerseits besser versteht, andererseits aber auch mitsingen kann. Entsprechend war zumindest die Vorpremiere des Divertissementchen ein großes gemeinsames Event mit viel Gesang und Klatschen.
Tipp: Einen rot-weißen Schal zum Schwenken dabei zu haben, ist keine schlechte Idee. Du wirst den richtigen Moment dafür erkennen. Ich sag nur: „Rut un Wiess, wie lieb ich dich“.
In die Geschichte fließen auch aktuelle politische Geschehnisse ein: So kleben sich Stina und Änni fest. Minister Klabautermann will Gras legalisieren, und der Berliner Unternehmer Bolle (Christian Manthe) wird für eine Bemerkung als frauendiskriminierend eingestuft.
Die Geschichte des Karnevals – und des Divertissementchens 2023
Im Programmheft kann man nachlesen, was im diesjährigen Divertissementchen erfunden ist, was der Geschichte entspricht. Denn, so heißt es dort: „Zum 200. Geburtstag gingen nun der Entstehung des Textbuches umfangreiche Recherchen und Treffen mit allen vier Jubiläumsgesellschaften voraus“. Den Held Karneval gab es beispielsweise genauso wie die Olympische Gesellschaft, die dem Karneval ihren organisierten Rahmen geben wollte. Weil ein Held ohne Armee nicht sein kann, wurden die Roten Funken tatsächlich über eine Zeitungsanzeige gesucht. Auch Diskussionen zwischen dem „Comité“ und den preußischen Behörden gab es, und im ersten Rosenmontagszug 1823 gingen auch bereits die Hellige Knäächte un Mägde mit.

Tipp: Dich interessiert die Geschichte des Karnevals? Dann kauf das Programmheft. Die historischen Bezüge sind spannend.
Kurz gefragt, schnell geantwortet
Das Divertissementchen ist eine Art kölsches Musical mit Gesang, Tanz und Schauspiel. Die Kölner*innen sagen auch „Zillche“ dazu. Hinter diesem Stück, das in der Karnevalszeit in Kooperation mit der Oper Köln aufgeführt wird, steht der Kölner Männer-Gesang-Verein.
Ein Divertissementchen ist ein Zwischenspiel. Es findet statt, wenn die städtischen Bühnen wegen Karneval Spielpause machen.
Das Schauspiel dauert gut 2 Stunden 45 plus Pause.
Das Divertissementchen kann man als Opernbesuch oder Karnevalsveranstaltung sehen. Entsprechend gibt es Besucher*innen, die sich eher festlich anziehen, andere verkleiden sich. Der Kompromiss besteht darin, sich etwas zu verkleiden und gleichzeitig ein bisschen feiner auszusehen. Rot und weiß passt so oder so.
Das diesjährige Divertissementchen überträgt der WDR am 18. Februar von 11 Uhr bis 12.30 Uhr.
Du willst jetzt schon Karneval feiern? Dann finde hier Termine und Veranstaltungen, die ich für meinen Kunden meinkoelnbonn.de recherchiert habe. Übrigens kannst du auch auf den Spuren des Karnevals stadtwandern.
Das Divertissementchen während der Corona-Pandemie
Übrigens gab es auch 2021 ein Divertissementchen – per Stream! Damals war die Heilige Corona angepisst: Die Heiligen drei Könige hatten ihr den Platz im Dom weggenommen. Und das Erzbistum wollte sie nicht zur Pandemieheiligen machen. Da blieb ihr nur eins: Mit nach ihr benanntem Bier und Zigarren den Männern in Köln den Geist vernebeln. Ich kann Euch sagen: ich habe vermutlich seit elf Monaten nicht mehr so viel gelacht wie bei unserer Wohnzimmeraufführung. Über den Schmusebüggel, mehr Corona- als FC-Experten, über die Experten Experten und vieles mehr. Dazu die Musik! Herrlich! Nicht nur kölsche Klassiker, auch internationale Hits sind die Vorlagen für die wortwitzigen Texte des Divertissementchen. Da kann man eigentlich nicht mehr stillsitzen – nicht mal vor dem Fernseher.
Als Journalistin halte ich mich an den Pressekodex des Presserats. Ich war zur Vorpemiere eingeladen und hatte noch zwei weitere Freikarten.
Wer schreibt hier? Bettina Blass
Bettina Blaß ist Bloggerin, Buchautorin und Verbraucherjournalistin. Sie gibt Seminare und Workshops rund das Internet wie beispielsweise "Personal Branding" oder "Online publizieren". 2021 hat sie das Buch "Zu Fuß durch Köln" herausgebracht, 2022 "80 Glücksorte im Teutoburger Wald. Beide Bücher sind im Droste Verlag erschienen.