„Neu Wirts Haus – wie komme ich da hin?“, fragt mich am Zugang der S-Bahn in Stuttgart eine kleine, runde Frau mit schlecht-gefärbten schwarzen Locken und einer Brille. Ich schätze, sie ist in ihren Siebzigern. Begleitet wird sie von einem jungen Mann, etwa zwei Meter groß, stark übergewichtig und mit dunkelbraunen Locken. Ich denke kurz nach, bevor ich frage:“Sie wollen nach Neuwirtshaus? Mit der Linie 6 in zehn Minuten.“
„Danke“, sagt die Frau und lächelt. Um sicher zu gehen, frage ich nach „Zum Porschemuseum?“. Sie runzelt die Stirn:“Ja, Bosch-Museum“, sagt sie. Und setzt sich mit dem jungen Mann auf eine Bank im Tiefgeschoss des Hauptbahnhofs in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Als ich feststelle, dass wir einen Kurzzug haben werden, und weil ich gesehen habe, wie schlecht die beiden zu Fuß unterwegs sind, sage ich ihnen einige Minuten bevor der Zug kommt, dass sie besser schon einmal in die Mitte des Bahnsteigs gehen sollen. Die Frau lächelt mich strahlend an. „Danke“, sagt sie wieder.
Gespräch in der S-Bahn in Stuttgart
Ich frage sie, woher sie kommt. Sie legt ihren Kopf schief und fragt:“Warum?“. Ich:“Ich kann ihren Akzent nicht einordnen“. Sie:“Das kann niemand. Aus Casablanca. Dort sprechen wir Französisch und Spanisch, das prägt die deutsche Aussprache. In Casablanca kann man aus meiner Wohnung die Moschee am Strand sehen. Dort gehen alle Touristen hin. Und sie sind begeistert, weil man das Dach im Sommer elektrisch öffnen kann.“ – „Interessant!“, sage ich.
„Sie kommen nicht von hier, nicht?“, fragt nun sie. „Nein“, sage ich. „Ich bin aus Köln.“ – „Das merkt man sofort“, sagt sie. „Sie sind nicht so in Eile wie die Leute in Stuttgart, sie sind viel ruhiger“. Das irritiert mich, denn ich finde, die Leute in Stuttgart wirken viel entspannter als in Köln. „Sind Sie denn auf Urlaub hier?“, frage ich die Dame. „Nein“, sagt sie fast empört. Sie wohne seit 1986 in Stuttgart, ihr Enkel sei hier geboren. Ich bin überrascht. Zwar ist ihr Deutsch ordentlich, aber dafür, dass sie fast 30 Jahre hier lebt, ist es trotzdem schlecht.
Die S-Bahn als Ort des interkulturellen Miteinanders
Unsere S-Bahn kommt, wir steigen ein. Sie fragt, ob sie zu mir sitzen darf. „Natürlich“, sage ich. Und wieder sagt sie:“Man merkt, dass sie nicht von hier sind. Hier sprechen die Leute nicht miteinander, jeder ist misstrauisch. Es sind viele rassistisch hier, besonders in den Behörden.“ Dann erzählt sie, dass ihr Enkel den Namen des Mannes annehmen musste, mit dem seine Mutter verheiratet war, als er geboren wurde. Der sei jedoch gar nicht der Vater. Der Enkel möchte darum nicht dessen Nachnamen, sondern den seines leiblichen Vaters. Während ich noch versuche, die Zusammenhänge zu verstehen und die gesetzliche Grundlage dazu in meinem Gedächtnis zu suche, sagt sie, in Marokko sei es kein Problem gewesen, ihrem Enkel einen Ausweis mit seinem richtigen Nachnamen zu besorgen. „Also hat er doppelte Staatsbürgerschaft?“, frage ich. „Nicht direkt“, sagt sie. „Die deutschen Behörden wissen nicht, dass er einen marokkanischen Pass hat.“
Sagt Bildung etwas über die politische Einstellung aus?
Ich wechsle das Thema, und frage, ob sie denn schon einmal im Porsche-Museum war. „Nein“, sagt sie. Sie wolle da auch gar nicht hin, sondern in die Kirche auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die sei zwar nicht so schön wie die Moschee in Casablanca, aber immerhin. Ich erzähle, dass wir eine sehr große und schöne Moschee in Köln haben. „Mit Minaretten?“, fragt sie. „Ja“, sage ich, und sie lacht:“Das ist gut. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Kölner nicht rassistisch sind. Hier müssen wir in einfachen Häusern beten.“
Ich sage, dass es auch in Köln viele Diskussionen um die Moschee gab und gibt. „Aber sie wurde gebaut“, sagt sie. „Ich vermute, das hängt mit der Bildung zusammen. In Stuttgart gibt es nicht viele gebildete Menschen. In Köln wahrscheinlich schon, oder? Gebildete Menschen sind weniger rassistisch.“ – „Das kann ich nicht beurteilen“, sage ich. Wir kommen in Neuwirtshaus an, steigen aus der S-Bahn aus Stuttgart aus. „Ihnen noch einen schönen Sonntag“, sage ich. „Ihnen auch“, sagt sie. Und unsere Wege trennen sich.