Punkt 9 Uhr öffnet die ProWein in Düsseldorf, und kaum bin ich auf der Leitmesse der Wein- und Spirituosenbranche, bietet man mir auch schon einen Probierschluck an. Für mich ist das zu früh, viel zu früh – obwohl hier niemand erwartet, dass man das Glas tatsächlich austrinkt: Überall stehen Spucknäpfe bereit. Es geht um Genuss, und nicht um ein kollektives Besäufnis. Trotzdem wird mir schon bei der Vorstellung übel, um 9 Uhr am Morgen Alkohol zu trinken, also warte ich bis kurz nach 11 Uhr, bis ich das erste Mal meine Zunge in Wein tauche. Das mache ich zugegebenermaßen auch nur, weil der Würzer vom Weingut Poss so gut nach Pfirsich riecht, als er mir am Stand von Zwiesel Kristallglas angeboten wird. Ich hätte es nicht geglaubt, aber bei der Vorführung der Sensa-Gläser schmecke ich tatsächlich einen Unterschied, wenn der Wein aus einem größeren beziehungsweise einem kleineren Glas angeboten wird.
Deutlich schwerer tue ich mich mit dem Afoito-Weinen aus Portugal. Die steile, steinige Lage am Douro in der Nähe von Porto kannte ich bisher nur als Anbaugebiet für die lieblichen Portweine. Auf der ProWein lerne ich, dass dort auch Rot- und Weißwein produziert wird. Die Trauben stampft man noch mit den Füßen, so wie es Opa und Uropa schon machten. Die Afoito-Weine sind wie die Landschaft, aus der sie kommen, kantig – und mir zu herb. Doch, so lasse ich mir sagen, mit Bacalhao, dem Traditionsgericht der Portugiesen soll der 2015er Weißwein hervorragend harmonieren.
Jeder Wein hat seine Geschichte
Überhaupt: Die Geschichten rund um die Weine sind fast das Schönste an der Messe. Da ist zum Beispiel Simone Wangemann aus Berlin, und sie vertritt Uruguay. Mir war bis dahin neu, dass in dem kleinen Land östlich von Argentinien überhaupt Wein angebaut wird. Jetzt weiß ich, dass es die Italiener und die Spanier waren, die damals aus der alten Heimat ihre Reben mitbrachten. Heute sind viele Familienweingüter bereits in der fünften Generation, und typisch für das Land ist der Tannat. Rund 8000 Flaschen im Jahr produziert die Familie Irurtia, die Touristen auch mit dem Boot besuchen können. Ihre Bodega liegt ganz in der Nähe von Colonia de Sacramento und nur einen Katzensprung von der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires entfernt. Simone Wangemann vertritt auch die Bodega Stagnari weiter im Osten des Landes, die von Mutter und Tochter geführt wird.
Rieslinge aus dem Rheingau auf der Pro Wein
Frauen, die Wein anbauen, sind offensichtlich keine Seltenheit mehr. Auch im Kulturland Rheingau stoße ich auf eine Winzerin. Sommelier Peer F. Holm, der mir schon die spanischen Weine näher gebracht hat, stellt auf der ProWein 50 shades of Riesling vor. Unter den acht vorgestellten Weinen ist auch der Hauswein des Weinguts Hans Bausch. Bauschs Tochter Katharina absolviert ihre Winzerausbildung und studiert Internationale Weinwirtschaft. Bauschs Weine, so beschreibt sie Peer F. Holm, seien voll Lebenslust.
Im Trend: Poppige Etiketten und Bio-Produkte
Die Jungen sind nicht nur als Weinproduzent*innen im Kommen, sondern auch wichtig, wenn es um den Verkauf geht. Das Weingut Karl Hendrik Frick setzt darum auf freche Etiketten. „Wilde Weiber“ und „Wolkenstürmer“ heißen seine Produkte. „Mit den neuen Etiketten wollen wir jüngere Kund*innen abholen, die erst noch an Wein herangeführt werden müssen“, erklärt Claudia Sticker, Vertriebsleiterin.
Eine andere Zielgruppe hat das Weingut Landmann aus Freiburg. „Wir verzichten auf Insektizide und sind Bioland-zertifiziert“, erklärt mir Jürgen Landmann. Den Dünger für die Reben holt man von den umliegenden Bauernhöfen. Deren Tiere wiederum haben das heimische Gras gefressen, und so schließt sich der Kreis zu einem durch und durch regionalen Produkt. Auch von Demeter zertifizierte Weine sind auf der ProWein. Jürgen Schmücking stellt sie vor, und zwar in Kombination mit den Wurst- und Speckprodukten der österreichischen Arche de Wiskentale. Dort züchten Christoph und Isabell Wiesner Mangalitza-Schweine. Und wer glaubt, solch bodenständige Verpflegung passe nur zu Bier, der irrt sich: Der Blanc de Noir vom Gustavshof in Rheinhessen zum Beispiel passt hervorragend zum zarten Kochschinken der Wiesners. Die kochen übrigens für ihre Schweine jede Woche fünf Tonnen Kartoffeln aus der Region, damit die Tiere satt werden.
Vergessene Spirituosen auf der ProWein
Neben Wein gibt es auch andere Getränke auf der Düsseldorfer Messe. Einige waren längst in Vergessenheit geraten, bis Guillaume Ferroni aus Marseille anfing in Kochbüchern zu stöbern, die um die Zeit der französischen Revolution herum gedruckt worden waren. Seitdem produziert der ehemalige Bartender selbst Spirituosen – was gar nicht so einfach ist, denn „die Einheiten haben sich genau so geändert wie die Namen der Zutaten“, erklärt Ferroni.
Zu seinen Produkten gehört das Elixier du Suédois, dessen Rezept der schwedische Arzt Fernet damals nach Paris brachte. In seiner Familie wurden alle über 100 Jahre – weil sie täglich seine Medizin tranken. Zu ihm gesellte sich später ein Herr Branca, und das Getränk ist unter dem Namen der beiden Männer vielen ein Begriff. In Argentinien trinkt man Fernet-Branca übrigens mit Cola als Mischgetränk – „zumindest, wenn man sehr männlich scheinen will“, sagt Guillaume Ferroni.
Auch sein zweites Getränk hat eine medizinische Geschichte: Eau Verte de Marseille schmeckt stark nach Pfefferminz und wurde früher gegen Cholera eingesetzt. Lieblicher ist Ratafia de Marseille, „ein Weihnachtslikör aus Rum, Rotwein, Kirsche, Erdbeere und Himbeere“, sagt Ferroni. Und schließlich gibt es noch „Le Vespero“, ein Digestif, mit dem Maison Ferroni einen Preis gewonnen hat. Darin enthalten sind Koriander, Karotte, Fenchel und Angelikawurzel.
ProWein: Ein Hauch von Köln in Düsseldorf
Meine absoluten Highlights auf der Wein- und Spirituosenmesse haben aber selbstverständlich mit Köln zu tun. In der Fizzz Lounge kredenzen die Jungs aus der Shepheard Bar am Rathenauplatz hygge Cocktails, also Mischgetränke mit skandinavischem Lebensgefühl. „Es geht darum, entspannt zu sein, und dadurch auch länger zu leben“, erklärt Marian Krause, der 2015 zum besten Bartender Deutschlands gekürt wurde, und sich die Kollegen aus der Shepheards Bar zur Verstärkung in die Fizzz Lounge holte. Von ihnen bekomme ich einen Schneeengel, whiskylastig – was ich sehr gerne mag – mit Zitrone, Apfel und Honigschaum obenauf.
Und schließlich gibt es noch ein neues kölsches Wasser: Gin de Cologne. Bis ich mich mit Abbass Khatami unterhalten kann, muss ich lange warten, denn vor mir sind Australier*innen und Dän*innen in der Schlange, die alle den Kölner Gin importieren wollen. Gebrannt wird er übrigens in Ehrenfeld, mild ist er, und leicht blumig schmeckt er. Abbass verkauft ihn in einer kleinen Flasche für die Touristen. Und in der großen für die Kölner*innen, die von ihrer Stadt ja sowieso nie genug bekommen können. „Die große Flasche eignet sich übrigens ganz besonders für diejenigen, die nicht mehr in der Domstadt wohnen, aber ständig unter Heimweh leiden“, sagt Abbass.
Auf der ProWein 2018 waren 6870 Aussteller aus 64 Ländern und 60.000 Fachbesucher.