„Wenn Deutschland gegen Argentinien Fußball spielt, schlägt mein Herz für Deutschland, aber Argentinien würde ich einen Sieg gönnen“, sagt Dirk Gerhards und schmunzelt. Der 40-Jährige lebt seit elf Jahren in San Carlos de Bariloche im argentinischen Seengebiet, nahe der Grenze zu Chile.
Geboren ist Gerhards in Solingen, und die Welt war schon immer sein Zuhause. „Daran sind meine Eltern schuld“, sagt er. „Sie haben meinen Bruder Ralph und mich schon früh im Wohnmobil und Zelt mitgenommen. Wir sind durch ganz Europa gereist.“ Alleine unterwegs war er dann das erste Mal mit 17, als er in die USA flog zum Schüleraustausch.
„Bis heute habe ich insgesamt 61 Länder bereist, unter anderem Australien, Indien und Namibia.“ Kein Wunder, dass der gelernte Industriekaufmann, der später als sportlicher Leiter in einem Solinger Sportzentrum arbeitete, eines Tages sein Hobby zum Beruf machte: Er studierte im Fernstudium Sport- und Touristikmanagement, eine Entscheidung, die für sein späteres Leben in Argentinien von Vorteil sein würde. „Das wusste ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht.“
1998 kaufte er ein Ticket nach Buenos Aires – ohne zu wissen, wann er zurückfliegen würde. Sein Ziel war, vom Süden Argentiniens bis nach Mexiko zu reisen, also einmal durch den südamerikanischen Kontinent. In Salta, im Norden Argentiniens, nahe Bolivien, bestieg er einen Personenwaggon, der an einen Güterzug angehängt war. Und das sollte sein Leben nachdrücklich verändern. Denn in diesem Zug saß eine junge Argentinierin, Adriana, die ebenfalls auf dem Weg nach Mexiko war.
Dirk Gerhards lernt seine Frau im Zug kennen
„Wenn man Tag und Nacht nebeneinander sitzt, kommt man ins Gespräch“, erzählt Gerhards. Das war in diesem Fall recht einfach, denn Adriana, Tochter slowenischer Einwanderer, sprach Deutsch und war auch schon in Köln gewesen. Die beiden beschlossen, gemeinsam weiterzureisen, „und bei einer Wanderung im bolivianischen La Paz hat es dann gefunkt“, so Dirk Gerhards. Er wollte Weihnachten wieder zu Hause in Solingen sein, und Adriana beschloss, mit nach Deutschland zu kommen. Im März 1999 heirateten die beiden. In den folgenden Monaten zog das Paar durch Deutschland und Argentinien – „aber auch an einen neutralen Ort, nach Asien“. Ziel: „Wir wollten uns finden und uns darüber klar werden, wo wir leben, was wir künftig machen würden.“
Leben in Argentinien
In den neun Monaten in Deutschland arbeiteten beide in Gelegenheitsjobs und konnten so ein bisschen Geld zur Seite legen. „Wir sind 2001 zurück nach Bariloche. Meine Schwiegereltern hatten eine Pension, die Hosteria Katy, und wir wollten dort in der Hochsaison bei der Arbeit helfen“, sagt Gerhards. Doch kaum waren sie dort, wurde Argentinien von der Wirtschaftskrise getroffen und war Pleite. „Das ist für sehr viele Menschen hier sehr schlimm gewesen“, so Dirk Gerhards. „Aber für uns war es genau passend.“
Denn durch die Krise sanken die Preise, und das Ersparte aus Deutschland reichte genau, um einen Minibus zu kaufen, „Rosinante“ genannt – nach dem treuen Pferd des spanischen Junkers und Abenteurers Don Quichote. Damit wollten die beiden Touren durchs Umland von Bariloche und durch Patagonien anbieten. Das Konzept ging auf.
Dirk Gerhards studierte in der Abendschule zweieinhalb Jahre, um als Touristenleiter arbeiten zu dürfen. Die beiden gründeten dann die Agentur Gringos Patagonia, die vor allem von deutschen Reisebüros angefragt wird, die Patagonien-Touren anbieten und einen deutschsprachigen Experten vor Ort suchen. Einige Jahre später kam ihre heute sechsjährige Tochter Ana zur Welt, zwei Jahre danach Ian und schließlich Helena. Heute wohnt die Familie in einem kleinen Haus im großen Garten der Hosteria Katy. Die Pension gibt es noch immer, sie wird dieses Jahr 40 Jahre alt, und Adriana und Dirk haben sie von den Eltern beziehungsweise Schwiegereltern übernommen.
Weihnachten im Sommer
Obwohl beide in Argentinien sesshaft geworden sind, ist der Kontakt nach Solingen noch rege: „Wir telefonieren häufig über Videoskype, damit meine Eltern ihre Enkel sehen können“, sagt Dirk Gerhards, und beide Familien besuchen sich auch regelmäßig. „Obwohl ich so lange schon weg bin, fehlen mir immer noch meine Freunde. Oder auch beispielsweise die Pfälzer Leberwurst“, gibt er zu. Andere Dinge lassen sich leichter auf die andere Seite des Planeten transportieren – beispielsweise Weihnachtsbeleuchtung. „Da wir südlich des Äquators leben, hat es bei uns an Weihnachten in der Regel 25 bis 30 Grad, und an Schnee ist nicht zu denken“. Trotzdem habe man Lichterketten an den Häusern angebracht. Da es aber um Weihnachten herum lange hell ist, müsse man auch sehr lange aufbleiben, um sie in der Dunkelheit erstrahlen zu sehen.
Dirk Gerhards hat ein Buch über sein Leben geschrieben, Liebe in Lateinamerika, das es bei Amazon gibt (Werbelink zu Amazon)
Der Artikel wurde zuerst auf rp-online.de veröffentlicht