Der Enthusiasmus ist längst verflogen, als wir endlich losgehen dürfen: Um 11 Uhr mussten wir unseren Platz in der CSD-Parade einnehmen. Um 12 sollte es losgehen. Doch bis sich die ersten Gruppen in Bewegung setzen, dauert es noch lange. Gruppe Nummer 74, das sind wir, die Kölner Journalisten-Vereinigung, kommt gegen halb drei auf die Deutzer Brücke in Köln, und somit endlich auf die Demonstrations-Strecke. Und dann ist sie auch wieder da, die Freude, dabei sein zu dürfen.
Hier auf der Brücke knallt die Sonne allerdings unbarmherzig. Ich frage mich nicht zum ersten Mal an diesem Tag, warum ich mir das eigentlich antue. Aber wir haben ein hochpolitisches Anliegen, und das ist es allemal wert. Motto der Parade 2017 war nämlich „Nie wieder“. Erinnert werden sollte damit an die Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung von Homosexuellen in der Nazi-Zeit. Sie wurden in Konzentrationslagern mit einem so genannten rosa Winkel gekennzeichnet. Diese Zeit ist aber auch für Medien ein sehr dunkles Kapitel. Denn mit der so genannten Gleichschaltung der Massenmedien ab 1933 wurde die Pressefreiheit aufgehoben. Darum hatten wir das Motto für uns ausgelegt als „Vielfalt statt mediale Gleichschaltung wie 1933“. Wir sind also für die Pressefreiheit auf die Straße gegangen. Für eine bunte, wenn auch nicht unbedingt eine Regenbogenpresse. Dabei haben wir gleichzeitig an die Journalisten erinnert, die wegen ihres Berufs in Gefängnissen sitzen oder umgebracht werden.
Vielfalt beim CSD zum Greifen
Um unserer Forderung Nachdruck zu verleihen, hatten wir etliche Medienhäuser in Deutschland angeschrieben. Viele haben uns mit Gratisexemplaren und Gutscheinen für Abos unterstützt. Unsere Aufgabe war nun, sie unters Volk zu bringen. Aber wer will eine Ausgabe der Zeit oder Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, während er bei Kaiserwetter am Straßenrand steht und sich die Christopher Street Day Parade anschaut? Antwort: eine ganze Menge Menschen! Wir haben nämlich unsere etwa 50 Kilogramm Zeitungen und Zeitschriften bis auf den letzten Gutschein losbekommen. Dabei nahmen besonders viele Menschen am Beginn der Parade sehr gerne die aktuellen Zeitungsausgaben. Und natürlich auch alle diejenigen, die sowieso mit Taschen gekommen waren, um Sträußchen, Fähnchen und andere kleine Geschenke von den Zugteilnehmern einzustecken. Jüngere Leute waren begeistert von kostenlosen Zugängen für die Onlineauftritte der FAZ in der Größe einer Scheckkarte. Sie passten schließlich bequem in jede Hosentasche.
A propos Hosentasche: Das war der CSD. Es gab einige Frauen und Männer, die sich wünschten, dass ich ihnen die Kärtchen wohin auch immer stecke. Und es gab einige, die wollten ein Küsschen. Haben sie auch bekommen. Mit einem Zugbesucher unterhielt ich mich länger, und ja, er hielt mich für lesbisch. Fand ich das schlimm? Nein! Allerdings wurde mir im Vorfeld der Veranstaltung bewusst, dass es für viele offensichtlich gar nicht so normal ist, als Hetero beim Christopher Street Day mitzugehen.
Meinem Mann wurde von einem Freund ganz klar abgeraten: „Wenn dein Arbeitgeber das mitbekommt, bekommst du eine Abmahnung!“. Was für ungeheure Ängste müssen manche Menschen haben? Unsere homosexuellen Freunde waren begeistert, dass wir sie begleiteten. Und sie brachten das mit ungewöhnlich vielen Dankesworten immer wieder zum Ausdruck. So selbstverständlich wie für uns ist es offensichtlich trotz Ehe für alle noch lange nicht, dass gesellschaftliche Schranken aufgrund der sexuellen Orientierung im Jahr 2017 wirklich lächerlich sind.
Umgeben von einem Meer von Menschen
Schwieriger wurde es, Zeitungen und Zeitschriften zu verteilen, als wir durch die Altstadt und auf den Neumarkt zugingen. Dort standen die CSD-Besucher in vielen Reihen hintereinander, eng an eng, während wir in der Parade genug Platz hatten. Manchmal kam aus einem Haus ein Schwall kaltes Wasser. Ich war dankbar dafür, denn es war ein unfassbar heißer Tag. Diese Kilometer durch das Meer der jubelnden und feiernden Menschen gingen wie Sekundenbruchteile an mir vorbei. Man wird getragen von der Stimmung und ist ständig damit beschäftigt, alles um sich herum auf- und wahrzunehmen.
Deutlich langsamer wurde es gen Ende, als wir die Domspitzen im Blick auf der Ziellinie waren. Und dort meldete sich nun nach gut sechs Stunden auch der Magen: Hunger, Durst, eine Toilette wäre auch mal ganz schön. Vom langen Warten zu Beginn abgesehen war es für mich ein großartiges Erlebnis, Teil dieses bunten und politischen Treibens zu sein. Ich wünsche allen, die die Möglichkeit haben, bei der Parade mitzugehen, den Mut, dieses Gefühl selbst erleben zu wollen.