Unsere Augen schmerzen. Wir müssen sie zusammenkneifen zum Schutz vor der gleißenden Sonne. Dabei waren wir höchstens eine Stunde im Inneren des Cerro Ricos, in den Silberminen von Potosi. Wie müssen die Augen der Minenarbeiter schmerzen, wenn sie nach Stunden der Dunkelheit ans Tageslicht kommen?
Potosi liegt im Südwesten Boliviens und hat rund 120.000 Einwohner. Wie ein gleichschenkliges Dreieck thront über der Stadt der Cerro Rico, der reiche Berg. Im 16. Jahrhundert wurde in der 4.050 Meter hoch liegenden Stadt das erste Silber gefunden. Damals lag Silber quasi auf der Straße. Das Gestein enthielt bis zu 50 Prozent des gesuchten Metalls. Und danach suchen die Mineros, die Minenarbeiter noch heute.
Mit Kokablättern durch den Tag
1650 erreichte die Ausbeutung der Silberschätze ihren Höhepunkt, und Potosí wurde zu einer großen Stadt mit 160.000 Einwohnern – größer als Paris zu dieser Zeit. Angeblich wurden damals ganze Straßenzüge mit Silberbarren gepflastert. Vom einstigen Reichtum ist heute nur noch wenig übrig. Potosi ist eine hübsche Stadt mit kolonialem Charakter, der jedoch den Glanz vergangener Tage nur noch erahnen lässt. Und der Cerro Rico wird von rund 1.500 bis zu zwei Kilometer langen Gruben durchzogen. Die etwa 6.000 Bergleute finden nur noch wenig Silber in den Minen. Darum liegt ihr Augenmerk heute eher auf Zinn und Blei. Doch auch die Suche danach ist beschwerlich. Die Gänge in den Minen sind oft nur schulterbreit, die Decken so niedrig, dass wir nur gebückt gehen können. Tief im Innern des Berges werden Temperaturen bis zu 35 Grad Celcius erreicht. Es riecht nach Schwefel, die Luft ist knapp. Ich will hier raus.
Die Mineros können die harte Arbeit nur leisten, wenn sie ihren Körper mit gekauten Kokablättern und Alkohol betäuben. Ihre Werkzeuge sind – wie vor vielen hundert Jahren – schwere Hämmer und Eisenstangen. Mühevoll wird damit im Gestein nach dem wertvollen Metall gesucht. Scheint ein Fundort vielversprechend, benutzen sie auch Dynamit. Durch die damit erzeugten Explosionen und den Alkoholgenuss wird die Arbeit in den Minen nicht weniger gefährlich. Immer wieder kommt es zu schweren Unfällen, berichtet Jacqueline Gutierrez, Fremdenführerin. Darum wünschen wir Touristen den Mineros viel Glück und eine gute Arbeit, buena suerte y buen trabajo.
Geschenke für die Mineros in Potosi
Dynamitstangen kauft unsere Gruppe für einige Bolivianos am Straßenrand. Dort bekommen wir auch kleine Tüten mit Kokablättern abgepackt, extrastarke Zigaretten und hochprozentigen Alkohol. Das alles bringen Touristen den Mineros als Dankeschön dafür mit, dass sie sich die Minen anschauen dürfen. Ein Teil des Einkaufs opfern wir am Mineneingang El tío, dem Onkel, einer roten tönernden Statue. Mit den Hörnern sieht sie aus wie ein Teufel. Sie wird mit einigen Kokablättern bestreut und bekommt eine Zigarette in den Mund gesteckt, die Jacqueline vorher anraucht. Dann übergießt sie El tío mit Alkohol und hält ein Feuerzeug daran. Er scheint zu brennen, aber es ist nur der Alkohol, der an seiner Oberfläche Feuer fängt. Ist die Zigarette in seinem Mund zu Asche zerfallen, dürfen wir Touristen eintreten ins Innere von Pachamama, von Mutter Erde. Denn dann – so sagen die Mineros – kann den Besuchern nichts passieren. „Raucht“ el tío die Zigarette nicht zu Ende, oder verbrennt der Alkohol nicht wie gewünscht, könnte der Besuch Gefahren bergen.
Rund 1.000 der Arbeiter sollen Kinder zwischen 8 und 16 Jahren sein. Mit ihrer Arbeit helfen sie, die Familien zu ernähren. Ein offizieller Arbeitstag dauert acht Stunden. Die meisten Mineros arbeiten gestärkt durch die Kugel aus Kokablättern in der Backentasche viel länger. Ihre Gesichter und nackten Oberkörper glänzen schwarz vom Schweiß und Dreck. Licht haben sie in ihren Stollen nur wenig. Eine schwache, offene Lampe erhellt ihr Arbeitsumfeld. Ihre Füße suchen nach jedem Schlag mit dem Hammer festen Halt auf dem unebenen Boden. An einigen Stellen geht es im undurchdringlichen Dunkel viele Meter in die Tiefe.
Hilfe für die Arbeiter
Die Arbeiter sind in 27 Kooperativen organisiert, die die Minen von der Regierung für sechs bis acht Prozent des erwirtschafteten Profits mieten. Touristen, die den Cerro Rico besuchen, unterstützen die Kooperativen. Von der Eintrittsgebühr von rund zehn Euro geben viele Agenturen, die den Besuch planen, einen Prozentsatz an die Kooperativen ab. Außerdem versorgen die Besucher die Arbeiter mit Dynamit, Kokablättern, Alkohol und Zigaretten – das erspart ihnen die Kosten für den Kauf dieser Hilfsmittel und hilft ihnen bei der Arbeit. Jacqueline Gutierrez, die Tourführerin, verabschiedet darum die Besucher mit den Worten:“Jeder Tourist, der uns besucht, sichert nicht nur viele Arbeitsplätze in der Tourismusbranche. Er hilft auch diesen Männern bei ihrer harten Arbeit. Vielen Dank, dass sie Potosí besucht haben. Vielen Dank für ihr Interesse. Und bitte – empfehlen sie unsere Stadt ihren Freunden weiter, die die Minen von Potosí noch nicht gesehen haben“.
(Veröffentlicht am 24. Februar 2002 in den Badischen Neuesten Nachrichten)