Füsun Onur Retrospektive im Museum Ludwig in Köln

Füsun Onur macht vergängliche Kunst

Hand aufs Herz: Wann hast du das letzte Mal eine Ausstellung in einem deutschen Museum gesehen, die einer türkischen Künstlerin gewidmet war? Genau – noch nie. Das war auch der Grund, warum ich zum Pressetermin der Retrospektive Füsun Onur ins Museum Ludwig in Köln gegangen bin: Ich war neugierig auf die Kunst der in Istanbul lebenden Künstlerin. Mein erster Eindruck: sehr heterogene Kunst. In einer Ecke des Ausstellungsraumes hängen strenge, geografische Zeichnungen in Schwarz-Weiß, in einer anderen liegt die Kunst auf dem Boden: Sie spiegelt, was man in einer Pfütze auf der Straße sehen würde. Der Blick unter den Rock eines Mädchens zum Beispiel, das Gesicht einer neugierigen Katze. Bei der Pressekonferenz erfahre ich: Füsun Onur geht es nicht nur um das Bild an der Wand, sondern um den Raum und die Skulptur. Deshalb liegen ihre Arbeiten manchmal auch auf dem Boden.

Voraussichtliche Lesedauer: 5 Minuten

Wie bei Opus II: Viele lange, dicke, weiße Stricknadeln mit Plastikkopf und Goldband sind auf dem Boden ausgelegt. Mal ordentlich und parallel zueinander oder im Quadrat, mal kreuz und quer mit Säulen. Oder abwechselnd mit Porzellanfiguren.  Damit verbunden ist meine zweite Erkenntnis: Die Kunst von Füsun Onur ist sehr kleinteilig und auch nicht von Dauer.

Füsun Onur – Kunst am Boden

Für das Museum Ludwig war diese Vergänglichkeit der Kunstwerke eine Herausforderung, wie Museumsdirektor Yilmaz Dziewior auf der Pressekonferenz betonte. Denn für Füsun Onur ist das Kommende wichtiger als das Vergangene. Ein Kunstwerk, das einmal gezeigt wurde, hat seinen Zweck erfüllt und kann – umgangssprachlich ausgedrückt – weg. Deshalb mussten viele Werke rekonstruiert und restauriert werden. Ohne „Arter – Raum für Kunst“ in Istanbul wäre das nicht möglich gewesen, so Dziewior. Emre Baykal, Chefkurator bei Arter, hat auch die Ausstellung in Köln mitkuratiert. Er ist auch seit vielen Jahren der Kurator von Füsun Onur.

Zeitlose Kunst von Füsun Onur

Eine dritte Erkenntnis: Die Kunst ist sehr modern. Da sind zum Beispiel Drahtfiguren, die sich auf eine Reise begeben und sich Gedanken über die Umweltverschmutzung machen. Diese Reise ist in 21 Szenen auf niedrigen Tischen dargestellt. „Im Prinzip passt die ganze Arbeit in einen Reisekoffer“, sagt Kuratorin Barbara Engelbach. „Aber wir zeigen sie im größten Raum der Ausstellung. Es ist ein ständiger Wechsel von klein und groß.“ Und thematisch so modern, dass sie auch ein Künstler von heute hätte gestalten können. Tatsächlich aber ist Füsun Onur 1938 in Istanbul geboren und damit 85 Jahre alt. 

Thema bei Füsun Onur: Umweltschutz

Zum besseren Verständnis der Installation hängen übrigens an der Schmalseite des Raumes laminierte Erklärungsblätter. Damit verbunden ist meine vierte Erkenntnis: Man muss sich für die Ausstellung Zeit nehmen, um einen Zugang zu finden.

Tipp: Türkischsprachige Besucher*innen der Ausstellung können über den QR-Code an den Kunstwerken Erklärungen zu den Bildern erhalten.

Leitmotiv Blau

Meine Highlights sind die drei blauen Räume in der Ausstellung. Der erste ist gleich am Eingang: Blaue Folie erinnert an eine Unterwasserwelt, in der Pflanzen wachsen. Der zweite ist ganz klein und durch viele dünne, lange Fäden vom Rest des Raumes abgetrennt. Drinnen liegt eine weiße Matte auf dem Boden. Setzt man sich darauf und hebt den Kopf, sieht man viele Fransen, dazwischen glitzernde Partikel. Im dritten blauen Raum hängt die leicht zu übersehende Muse. Hier kann man sich hinsetzen und die Ruhe genießen. Die Farbe Blau ist übrigens ein Leitmotiv der Künstlerin.

Leitmotiv Blau in der Retrospektive Füsun Onur

Wer ist eigentlich Füsun Onur?

Die Künstlerin wurde in Istanbul geboren und lebt auch heute noch in einem Haus am Bosporus. In den 1950er Jahren entschied sie sich, als Bildhauerin zu arbeiten. Ein Beruf, der damals meist von Männern ausgeübt wurde. 1962 ging sie mit einem Fullbright-Stipendium in die USA, wo sie Philosophie studierte. 1971 stellte sie auf der 7. Biennale aus, 1974 zeigte sie in einer Protestausstellung die Arbeit „Akt“.  Im Jahr 2001 waren ihre Werke in Baden-Baden, wo ich zur Schule ging, und 2012 auf der Documenta in Kassel zu sehen. 

Zur Vernissage in Köln ist sie aus Altersgründen nicht gekommen. Aber sie hat vorher mit Emre Baykal einen digitalen Rundgang gemacht, um ihre Werke richtig zu präsentieren. Das ist insofern erstaunlich, als sie kein Internet, kein Smartphone und nicht einmal ein Fax benutzt, wie Baykal sagt. „Mit ihr zu arbeiten ist eine Entschleunigung, denn alle Treffen finden persönlich statt“, sagt er. Dafür tauche man umso tiefer in ihr Leben und ihre Person ein.

Die Ausstellung wird gefördert von der Kulturstiftung des Bundes, der Kunststiftung NRW, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Rewe Group, der Peter und Irene Ludwig Stiftung, der Gesellschaft für Moderne Kunst am Museum Ludwig, der Beatrix Lichtken Stiftung und Rimowa.

Die Ausstellung ist bis zum 24. Januar 2024 zu sehen.

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