Barbara Hartung hat den Kopf in den Nacken gelegt und deutet mit dem Finger nach oben in die Baumgipfel. Dort kann man versteckt unter dem Laub Brüllaffen sehen: Sie jagen sich in den Zweigen hin und her. Auf dem Boden schleppen Blattschneiderameisen hellgrüne Laubstückchen von einem Ort zum anderen, wer genau hinsieht, entdeckt auch eine Schlegelsche Viper auf dem Ast am Fluss. Die Touristen stehen andächtig neben der deutschen Biologin im costa-ricanischen Regenwald und lauschen ihren Ausführungen. Barbara Hartung kommt aus Aasen bei Donaueschingen und hat in Tübingen studiert – Zoologie war ihr Schwerpunkt. Seit zehn Jahren lebt sie nun schon in Tortuguero, nahe der nicaraguanischen Grenze und bietet den Besuchern aus dem deutschsprachigen Europa einen Regenwaldspaziergang in deren Landessprache.
Umweltverträglich reisen
Neben dem Gebrüll der Affen ist von Zeit zu Zeit auch etwas anderes zu hören: Flugzeugmotoren. Die Biologin runzelt dann die Augen und schaut missbilligend. „Es ist ein zweischneidiges Schwert“, sagt sie. „Ein Flugzeug, ein Motorboot schadet der Natur noch nicht. Aber es werden immer mehr.“ Und sie bringen Touristen – von deren Geld wiederum Barbara Hartung lebt. „Aber für mich ist auch klar: Wenn hier nur noch Touristen sind, dann gehe ich“, erklärt sie bestimmt. „Die ersten Auswirkungen sind schon zu spüren: Man kann am Wegesrand beispielsweise immer weniger Tiere beobachten. Sie ziehen sich zurück!“
Mit Barbara Hartung im Einklang mit der Natur
Weil der Deutschen die Natur so wichtig ist, bietet sie natürlich nur umweltverträgliche Touren an. Während die Touristen aus den Hotelanlagen morgens mit Motorbooten durch die Kanäle geschippert werden, müssen Barbara Hartungs Gäste selbst aktiv werden: Mit Kanus, die sie im Ort gegen eine kleine Gebühr leiht, gleiten sie durch eigene Muskelkraft lautlos dahin und beobachten Kaimane, Vögel und Schmetterlinge. Die Besucher der Biologin schlafen in kleinen, einfachen Unterkünften im Ort und essen einheimisches Essen. „Das stärkt die lokale Wirtschaft“, erklärt sie.
Sie selbst nimmt auch einiges in Kauf dafür, dass sie den Regenwald und die Karibik vor der Tür hat: „Als ich vor neun Jahren hierher kam, hatten wir kein fließendes Wasser“, erzählt sie lachend. „Heute immerhin die zweite Generation Waschmaschinen“. Die allerdings haben einen beschwerlichen Weg nach Tortuguero, denn eine Straße führt nicht zu diesem Dorf mit seinen etwa 700 Einwohnern. Alles, was man so im Alltag braucht, wird mit den kleinen Motorbooten den Fluss entlang gebracht. Zum Beispiel auch Barbara Hartungs neue Matratze. Neuerdings landen aber auch Chartermaschinen für höchstens 15 Personen auf dem winzigen Flughafen. Leisten können sich das allerdings hauptsächlich die Touristen. Wer in San José, der Hauptstadt, einkaufen möchte und den Landweg wählt, muss mindestens eine Übernachtung einplanen.
Barbara Hartung: Online im Dschungel
Telefon haben die Einwohner in Tortuguero erst seit November 2003. Der Mobilfunk war schneller: Wer ein Handy hat, kann seit Januar 2003 damit telefonieren. Und weil die Bewohner Teil eines Feldversuches sind, kann Barbara Hartung über das Handy und ihr Laptop auch schon online gehen. „E-Mail hat mein Leben sehr verändert“, sagt sie. „Ich kommuniziere wieder viel mehr mit meinen Freunden in Deutschland“. Da aber die Verbindung sehr langsam ist, geht dadurch auch viel Zeit verloren.
„Es sind sicher nicht die Lebensumstände und die Kultur, die mich hier halten“, gibt auch Barbara Hartung zu. „Aber die Natur ist einzigartig“. Neben dem Tieflandregenwald mit seiner überwuchernden Flora und artenreichen Fauna gehören dazu vor allem die Grünen Meeresschildkröten. Nach ihnen ist der Ort benannt: Tortuga ist spanisch und heißt Schildkröte. Sie kommen jährlich an den Strand, um ihre Eier zu legen. Und weil der Strand Teil eines Naturparks geworden ist, werden es immer mehr. Man spricht von mehreren Tausend, die hier jährlich ihren Nachwuchs freisetzen. Leider überleben nur wenige.
Deutschlandbesuche im Mai
„Ein einzigartiger Platz“, schwärmt Barbara Hartung darum. Und für ihn nimmt sie in Kauf, auch nach so vielen Jahren noch immer die Außenseiterin, die Ausländerin, zu sein. „Es geht mir hier nicht anders, als den Ausländern in Deutschland“, sagt sie. „Außerdem hat man es als Frau in einer Macho-Gesellschaft nicht leicht!“ Trotzdem kehrt sie von ihren jährlichen Deutschland-Urlauben immer wieder gern hierher zurück. „Ich besuche jedes Jahr im Mai meine Eltern, meine Schwester und meine Neffen und Nichten“, erzählt sie. Und auch nach Tübingen fährt sie dann, um dort ihre Freunde zu treffen. „Sechs Wochen sind zwar eigentlich sehr lang, aber meistens ist es doch Stress, weil man ja alle sehen möchte“. Die Familie stellt sich darauf ein, dass Besuch aus Costa Rica kommt: „Meine Mutter kauft einen Kühlschrank voller Joghurt, denn Milcherzeugnisse sind hier schwer zu bekommen“. Und wenn sie zurückkommt in ihren Dschungel, dann hat sie einen Rucksack voller Bücher und Software dabei. „Das bekommt man hier nicht so leicht“, seufzt sie. Trotzdem: „Diese Gegend hier ist meine Landschaft. Das Klima ist wunderbar! Hier fühle ich mich wohl. Und worauf ich gar keine Lust mehr habe, das ist der deutsche, graue und kalte Winter“, sagt sie und lacht – mit einem kleinen Anflug von Wehmut in der Stimme.
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