Mythos Kreuzfahrt: pro und kontra

In der Altstadt von Stavanger

Mit dem Begriff Kreuzfahrt habe ich lange das Traumschiff verbunden. Jene Fernsehserie, die in den 80ern einen Hauch Exotik in das heimische Wohnzimmer brachte, garniert mit dem Sex-Appeal des jungen, blonden und braungebrannten Sascha Hehn. Eine Kreuzfahrt, das war etwas für die Reichen, oder zumindest für die Besserverdienenden. Für das Bildungsbürgertum. Für Rentner*innen und Pensionär*innen, die viel Zeit haben. Heute sind Schiffsreisen für alle erschwinglich.

Mythos Kreuzfahrt: Heute sind Schiffsreisen für jedermann erschwinglich

Aida und Aldi haben Kreuzfahrten in der Zwischenzeit für eine breite Schicht zugänglich gemacht. Heute ist es gar nicht mehr so ungewöhnlich, mit dem Schiff zu verreisen. Trotzdem war ich vor unserer ersten Kreuzfahrt nach Norwegen skeptisch: Würde ich Spaß daran haben?

Nach einer Woche an Bord der Serenade of the Seas weiß ich, dass eine Kreuzfahrt nicht so schrecklich spießig ist, wie ich immer dachte. Trotzdem haben sich meine Vorurteile erfüllt. Aber: Es gibt tatsächlich sehr gute Gründe für eine Kreuzfahrt.

Postiv an der Kreuzfahrt war

  • Das Reisen an sich ist bequem: Alles ist organisiert, man muss sich um nichts kümmern.
  • Das Essen ist gut.
  • Ich hatte viel Zeit für Sport und immer ein gutes Fitnessstudio um die Ecke.
  • Ich habe sehr gut geschlafen.
  • Der Weg ist das Ziel: Während man an der Küste entlang schippert, sieht man viel.
  • Das Kulturangebot an Bord ist oft gut.
  • Das Personal ist fast immer nett und für einen kleinen Plausch bereit.
  • Man kann sich auf einem Kreuzfahrtschiff seinen Freiraum schaffen, wenn man sich etwas antizyklisch verhält.

Was mir an Kreuzfahrten nicht gefällt

  • Formelle Abende finde ich antiquiert, und überflüssig. Die habe ich bisher aber nur auf den Schiffen der MSC und bei Royal Carribean erlebt.
  • Viele Mitreisende sind unhöflich: Man lächelt sich nicht an, grüßt nicht auf dem Gang, besteht auf seinen Platz am großen Tisch, der näher am Fenster ist – selbst wenn diese schmutzig sind. Man drängelt am Buffet und lässt im Aufzug keinen raus, man belegt im Fitnessstudio zwei Geräte über eine lange Zeit, raucht im Nichtraucherbereich und schmeißt dann seine Kippe in das Fjordwasser, obwohl dies ein Naturschutzgebiet ist. Eigentlich also alles wie immer.
  • Es gibt viele Termine: Abendessen gibt’s ab 18 Uhr, Abfahrt ist um 17.30 Uhr, bis 23 Uhr muss das Gepäck auf dem Flur stehen. Aber anders lässt sich eine solche Reise eben nicht organisieren.
  • Man sieht Städte, die man eher uninteressant findet, aber die, die man gerne gesehen hätte, sieht man nicht. Alesund beispielsweise muss ich kein zweites Mal besuchen.
  • Viele Reisen sind Verkaufsveranstaltung: Fotos mit dem Kapitän, Fotos vor dem Schiff, Weinverköstigung, Detox, Sushi-Seminar, dies und das und Trinkgelder, Trinkgelder, Trinkgelder. Allerdings gibt es auch hier zwischen den Schifffahrtsgesellschaften große Unterschiede. Auf der Aida und der Mein Schiff habe ich das nicht so empfunden.
  • Die Ausflüge sind je nach Schifffahrtsgesellschaft komplett überteuert. Man kann aber auch oft auf eigene Faust oder mit Get your Guide einen Landausflug organisieren.
  • Schließlich belasten Kreuzfahrtschiffe mit ihren Abgasen die Umwelt. Bei Atmosfair kann man gegen einen Betrag den CO2-Ausstoß kompensieren, den man für den Flug zum Starthafen hatte. Bei MyClimate die Kreuzfahrt an sich.
CO2-Kompensation bei kurzer Kreuzfahrt
CO2-Kompensation bei kurzer Kreuzfahrt

Kreuzfahrten sind oft distanziert

Reisen auf dem Schiff finde ich eine sehr distanzierte Art des Reisens: Man isst an Bord internationales Essen, bekommt aber nichts von der Landesküche mit. Es gibt an Bord US-amerikanische Filme und Theateraufführungen zu sehen, aber nichts von Künstlerinnen der Ziele, die man bereist. Man hört Mainstream-Musik – aber nie etwas Landestypisches. Die Gäste sprechen mit den anderen Tourist*innen, aber nie mit Einheimischen. Im schlimmsten Fall bewegt man sich mit einem Reiseführer durch den Ort, und versucht nicht einmal Land und Leute selbst zu erkunden. Das bringt der Wirtschaft eines Landes nicht viel: Restaurants, Cafés und Hotels dürften wenig von diesen Kreuzfahrttouristinnen profitieren.

Das ist natürlich anders, wenn man auf eigene Faust an Land geht und hier einen Kaffee trinkt, dort ein Museum besucht oder ein Eis isst. Auch, wenn die Kreuzfahrtgesellschaft mit Touranbieter*innen kooperiert, kommt durch diese Tourist*innen natürlich Geld ins Land. Beispiele: Den Shuttleservice vom Hafen ins Zentrum auf Santiago, eine der Kapverdischen Inseln, ist bei meiner Reise mit der Mein Schiff von lokalen Unternehmen organisiert worden. Ebenso eine Wanderung auf La Gomera.

Wie ist das eigentlich mit dem Personal auf einem Kreuzfahrtschiff?

Ich habe mich mit einer Serviererin unterhalten. Und das hat sie mir erzählt:

„Nach diesem Trip fahren wir weiter auf der Baltikum-Route bis Sankt Petersburg. Dann fahren wir an Norwegens Küste entlang und weiter über den Atlantik nach Boston, nach New York und schließlich nach Florida. Nach Hause komme ich das nächste Mal Mitte Januar. Dann war ich sechs Monate an Bord, und habe im Anschluss sechs Wochen frei. An manchen Tagen arbeite ich von 9 bis 23 Uhr, ja, das ist lang. Aber andere Menschen fahren jeden Tag eine Stunde zur Arbeit, das ist verlorene Zeit.

Für begrenzte Zeit perfekt!

Natürlich ist es schwierig, eine Familie zu gründen, wenn man nie zuhause ist. Ich habe Freundinnen, die haben fünf Kinder, aber das will ich gar nicht. Das ist nicht mein Leben. Ich will nicht für 500 Euro im Monat arbeiten, und davon eine Rate für ein Haus abbezahlen, und am Ende bleibt nichts zum Leben übrig. Ich sage zu meiner Mutter immer, sie soll das Scheiß-Haus verkaufen, ich fühle mich dort nicht wohl und werde dort nie wohnen.

Wir haben uns Geld von einem Onkel geliehen, um es kaufen zu können. Und jetzt zahlen wir die Raten, jeden Monat, ein ganzes Leben lang. Und wenn wir es verkaufen sollten, ist es nur noch ein Drittel wert. So ist das in meinem Land. So will ich nicht leben. Da arbeite ich lieber 20 Jahre auf dem Kreuzfahrtschiff, arbeite hart, verdiene viel, lege das Geld zur Seite. Und wenn ich irgendwann etwas kaufen will, bezahle ich in Cash. Ich zahle hier keine Miete, ich brauche keine Küche mit dem ganzen Zubehör, ich muss nicht kochen oder in den Supermarkt gehen.

Ich kann so viel effizienter Geld verdienen, und ich sehe auch noch die ganze Welt dabei. Wenn ich Urlaub habe und zuhause bin, dann gehe ich gar nicht mehr ins Stadtzentrum. Was soll ich da? Ich kenne es schon. Und es gibt viele Plätze auf der Welt, die interessanter sind als mein Heimatort.“

Was wir von unseren Freund*innen gefragt wurden

Ist man bei einer Kreuzfahrt nicht komplett fremdbestimmt?

Nein. Du suchst dir eine Route aus, und dann ist natürlich festgelegt, in welchen Städten du wie lange sein wirst. Aber du musst nicht an Land gehen, du musst keinen Landausflug buchen, du kannst dir die Stadt auch auf eigene Faust ansehen. Für das Essen und die kulturellen Veranstaltungen gibt es natürlich feste Termine. Aber das ist immer und überall so. Bist du in einer Stadt, in der Restaurants erst um 18 Uhr aufmachen, kannst du auch nicht früher zum essen gehen.

Ist das nicht schrecklich, wenn sich vor den Türen der Restaurants alle knubbeln? Oder am Buffet?

bei der Mein Schiff und der Aida gibt es diese festen Seatingzeiten nicht. Das Restaurant öffnet irgendwann, dann gehst du hin, wenn es dir passt. Manchmal hast du Pech, und es ist schon alles voll. Dann gehst du eben woanders essen. Willst du unbedingt in eines der kleineren Restaurants, solltest du entweder einen Tisch reservieren – oder wenn das nicht geht, früh genug anstehen. Das ist beispielsweise bei Gosch Sylt auf der Mein Schiff Herz sinnvoll. Ans Buffet musst du nicht zur Stoßzeit gehen, dann ist es auch nicht so voll.

Ich hätte bei einer Kreuzfahrt immer das Gefühl, nicht genügend Zeit für eine Stadt zu haben. Wie ist das?

Eine Kreuzfahrt ist kein Städtetrip. Eine Kreuzfahrt ist im Prinzip ein Roadtrip. Nur, dass du mit dem Schiff fährst, und nicht mit dem Auto. Der Weg ist das Ziel. Gefällt dir eine Stadt auf der Route besonders gut, kannst du ja nochmals länger dorthin reisen.

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Dieser Artikel ist von 2019. Er wurde 2023 aktualisiert.

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