Im Museum Raffael Becker in Köln

So viele Bilder, so wenig Platz

Du hast noch nie von Raffael Becker gehört? Dann bist du nicht allein. Das ging mir bis vergangene Woche genauso. Und ganz verwunderlich ist das nicht: Der Maler hatte nämlich seine Bilder am liebsten um sich herum in der Gustavstraße in Köln-Sülz versammelt. Ausstellungen gab es nur wenige, im Stadtmuseum beispielsweise oder in der Abtei in Brauweiler. Doch zu seinem hundertsten Geburtstag im März eröffneten Tochter Raphaele Berglar ihren Eltern ein Museum in der Nähe des Decksteiner Weiher. Mutter Inge, Kunstlehrerin, gestaltete nämlich Textilien und Modeschmuck. Häufig hat das Ehepaar auch zusammengearbeitet: Sie nähte beispielsweise ein Kleid, das er bemalte. Und darum ist auch ihr ein Raum in dem Haus in der Gleueler Straße gewidmet.

Raffael Becker: Großformatige, leuchtend-bunte Bilder 

Im Fokus stehen aber die Werke von Raffael Becker. Ich mag besonders seine späten Bilder: Die Farben sind leuchtend bunt. „Möglicherweise, weil die Sehkraft des Malers im Alter nachgelassen hat“, erklärt mir Sascha Klein, der das Museum leitet. Aber auch die Inhalte sprechen mich an: Raffael Becker hat seine Umwelt nämlich sehr genau beobachtet und Alltagszenen aus Köln in den vergangenen Jahrzehnten dokumentiert. 

Raffael Beckers Bilder: viel Gesellschaftskritik, schön bunt, oft opulente Rahmen
Raffael Beckers Bilder: viel Gesellschaftskritik, schön bunt, oft opulente Rahmen

1987 beispielsweise malte er einen Karnevalsball, bei dem er 1952 mit seiner Frau im Circus Williams war. Dieser stand in dieser Zeit auf Höhe des Aachener Weihers und war eine der wenigen Veranstaltungshallen in der Stadt. In lebendigen Farben ist das Bild beispielhaft für die Freude, nach dem Krieg wieder Karneval zu feiern. Doch am Bildrand erkennt man, dass noch lange nicht alles vorbei ist. Dort sieht man Ruinen und einen Kriegsveteranen auf Krücken und in Uniform zum Ball kommen. Raffael und Inge Becker sind im Zentrum des Bildes zu sehen – wenn man sie denn erkennt. Damit das den Besucher*innen leichter fällt, hängen neben dem Bild Zeitungsausschnitte zum sogenannten Paradiesvogelball und auch Fotos, die das Ehepaar am Ballabend zeigen. 

Mehrschichtige Gemälde

Dieses Bild steht exemplarisch für viele andere: Vordergründig sind sie durch die bunten Farben fröhlich. Auf einer zweiten Ebene wird jedoch oft auch Gesellschaftskritik transportiert, manchmal gepaart mit einem ganz wunderbaren Humor. Das Dokumentarische ist häufig in Form von Schlagzeilen in Collagentechnik integriert. Je länger man die Bilder betrachtet, desto mehr Inhalt erkennt man. Zum Beispiel beim Bild „Mal schießen die Herren“ von 1977/78. Hier zeigt der Maler eine fröhlich bunte Kirmesatmosphäre. Stutzig machen nach und nach die langen Messer, der Mann mit dem Strumpf über dem Kopf und dem Gewehr im Anschlag, das Schwert eines Kindes. Dieses Gemälde erinnert unter anderem den deutschen Herbst und die Terroranschläge der RAF.

Mehrschichtige Bilder. Und gerne dabei: der blaue Porsche
Mehrschichtige Bilder. Und gerne dabei: der blaue Porsche

Mich erinnern die Gemälde ein wenig an Wimmelbilder. Um sie zu verstehen, ist eine Führung hilfreich. Das Museum Raffael Becker hatte mich zu dieser eingeladen. Der Vorteil einer Führung: Man erfährt auch eine ganze Menge über das Leben und Arbeiten des Künstlers. Beispielsweise, dass er die meisten Rahmen selbst restauriert hat. Oder dass er eine Vorliebe für einen blauen Porsche hatte, der auch in seinen Bildern immer wieder auftaucht. Und dass er einige Jahre als Werbegrafiker gearbeitet hat.

Selbst zu seinem Vornamen kennt Sascha Klein die Geschichte: Der Opa war nämlich ein Fan der Renaissance. Dessen vielleicht berühmtester Vertreter ist Raffael. Von ihm bewundern wir heute noch Gemälde, wenn wir den Vatikan in Rom besuchen. Der Opa nannte also darum seinen Sohn Raffael. Und dieser nannte wiederum seinen Sohn ebenfalls Raffael. Der Senior übrigens hat in den 1930er Jahren das Original-Logo von Afri-Cola entworfen. Die Kunst liegt der Familie offensichtlich im Blut.

Aktuelle Themen – weil sich manches nie ändert?

Spannend finde ich an Raffael Beckers Bildern auch, dass viele so aktuell sind: Da zeigt er in „La Mode“ einen Obdachlosen, die vor einem teuren Modegeschäft auf der Straße schlafen. Daran hat sich wenig geändert. In einem weiteren Bild zeigt er die Südkurve bei einem FC-Spiel – und auch damals schon die Randalierer, die dem Verein keine Ehre machen. Becker hat die Zeitungsverkäuferin gemalt, die Putzfrauen und den Schrotthändler, eine Beerdigung eines Gastronomen in einer Sülzer Eckkneipe, halver Hahn, Frikadellen und den Müll auf der Straße nach einem Radrennen. Auf einem Gemälde aus dem Jahr 2000 sieht man junge Menschen mit Tattoos und Handys euphorisch tanzen, während versteckt einige bunte Pillen den oder die Besitzer*in wechseln.

Die Kölner Nachkriegsjahre

Raffael Becker hat in Skizzen auch die Kölner Nachkriegsjahre festgehalten. Weil die Originale im Kölnischen Stadtmuseum sind, gibt es davon ein Buch, um darin zu blättern. Dort sieht man ausgemergelte Kinder genauso wie Kriegsheimkehrer, Menschen ohne Schuhe und das so genannte Fringsen, also erlaubtes Stehlen aus der Not heraus. Diese Skizzen haben mich sehr an das Buch Findelmädchen erinnert, das ich erst neulich gelesen habe.

Becker war jedoch nicht nur Maler, er war auch ein wunderbarer und sehr kölscher Erzähler. Da er die Geschichten zu seinen Bildern schon vor Jahrzehnten auf Kassetten aufgenommen hatte, können sich heute die Besucher*innen diese anhören. Dazu scannt man den QR-Code neben den Bildern.

Extra-Tipp: Es ist darum ganz sinnvoll, Kopfhörer fürs Smartphone mitzubringen. 

Das Museum Raffael Becker an der Decksteiner Mühle von außen
Das Museum Raffael Becker an der Decksteiner Mühle von außen

Das Museum ist in der Gleueler Str. 373a. Ab Oktober hat es auch am Wochenende geöffnet sein.

Zum Weiterlesen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.